PREISFRAGE: Gibt es eine realistische Möglichkeit für die friedliche Beendigung des Krieges in der Ukraine?

Tatsächlich wird ein Preis ausgelobt für eine überzeugende Antwort – nicht eine Million Dollar zwar, aber immerhin ein Exemplar des Buches „Die Zukunft der Demokratie“ von dem Politikwissenschaftler Prof. Herfried Münkler, der am 8. Mai in Butzbach für einen Vortrag mit Gespräch zu Gast sein wird. 

Wie in den westlichen Ländern auf den Einfall und die Annektionen Russlands in der Ukraine möglichst klug und wirkungsvoll reagiert werden sollte, ist von Beginn an Gegenstand ständiger, teils hitziger Debatten. In meinen Augen gibt es – leider – eine klare Überlegenheit der Argumente aufseiten derjenigen, die meinen, den Aggressor nur mit Waffengewalt eindämmen zu können. Denn die Anderen, zumindest vordergründig Friedliebenderen, gehen offenbar viel mehr von Wunschvorstellungen aus als von den höchst unangenehmen tragischen Gegebenheiten.

Doch gern würde ich mich vom Gegenteil überzeugen lassen, deshalb diese öffentliche Nachfrage. Sie ist nicht rhetorisch motiviert, sondern allein durch das aufrichtige Bemühen, gute Gründe zu erfahren für die Beendigung der Waffenlieferungen an die Ukraine und/oder die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Denn nichts wäre wünschenswerter als das sofortige Ende des Blutvergießens. 

„Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ waren ja die Leitsprüche während der heftigen Nachrüstungsdebatte in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit diesem Überzeugungshintergrund protestierten wir im Oktober 1981 im Bonner Hofgarten, zusammen mit 300.000 Kundgebungsteilnehmern und -teilnehmerinnen. Darunter auch Olaf Scholz , wie wir heute wissen. Die NATO-Nachrüstung, gegen die wir uns ausgesprochen hatten, wurde dann doch durchgeführt.

Erste große Risse in der Friedensbewegung zeigten sich während der 90er Jahre im Balkankrieg, welche die Partei der Grünen vor eine Zerreißprobe stellten, gipfelnd im Farbbeutelwurf gegen den Außenminister Joschka Fischer im Jahr 1999. Die Partei war etabliert und in der Regierung angekommen, was mit einem Wechsel zu einer realpolitischen Haltung einher ging. Heute ist sie diejenige, die sich mit am Entschiedensten für die Verteidigung der Ukraine auch durch die Gegengewalt der Waffen einsetzt, wohingegen sich die innerparteilichen Auseinandersetzungen in dieser Frage vornehmlich in der SPD abspielen. AfD und Linke hingegen sind sich jeweils intern weitgehend einig in der Ablehnung einer militärischen Unterstützung des angegriffenen Landes.

Zur Argumentationslage:
Die Gegner der weiteren Aufrüstung der Ukraine betonen erstens die Gefahr der Eskalation bis hin zum Einsatz von Atomwaffen. Selbst wenn das wahrscheinlich wäre, bliebe die Erkenntnis, dass jedes Land, welches über Atomwaffen verfügt, diese als Drohung einsetzen und unter diesem Schutzmantel gleichzeitig andere Länder konventionell angreifen kann, bis hin zu deren Unterjochung oder gänzlichen Auslöschung.
Zweitens wird ganz allgemein und eher unbestimmt von „friedlichen Lösungen“ gesprochen, die man dem Krieg und der Gewalt entgegensetzen solle. Dafür werden „sofortige Verhandlungen“ gefordert. Die Nachfrage, wie das umgesetzt werden solle angesichts der gegebenen Bedingungen, bleibt unbeantwortet und die Diskussion sehr vage. Diese Bedingungen bestehen aufseiten Russlands mindestens im Anspruch, sich die annektierten vier neuen Gebiete und wie bisher die Krim, beides völkerrechtswidrig und nirgendwo anerkannt, offiziell als neues Staatsgebiet absegnen zu lassen. Aufseiten der Ukraine steht dem die bislang vertretene Ansicht entgegen, dass das eigene anerkannte Staatsgebiet unangetastet bleiben soll.

Wie immer man die Sache auch dreht und wendet: Eine Verweigerung weiterer militärischer Unterstützung würde dazu führen, dass ein Land mindestens einen Teil seines Staatsgebietes abgeben muss, und das nach schlimmsten Opfern in der vorherigen Auseinandersetzung, nachdem ein Anderer gewaltsam darauf Zugriff genommen hat. Es könnte aber auch sein, dass die russische Armee bei militärischer Überlegenheit einfach weiter vordringt und das gesamte Land unterwirft. Kriege enden zwar immer mit Verhandlungen, doch eindeutig auf der Basis des zuvor militärisch Erreichten. Die Lage auf dem Gefechtsfeld ist immer DER entscheidende Ausgangsfaktor für Verhandlungen.

Wenn die unter dem Banner des Friedens Argumentierenden für das Ende der militärischen Unterstützung eintreten, wird es die hochwahrscheinliche, nahezu logische Folge sein, dass ein Land mindestens eines Teils seines Gebietes beraubt wird. Deshalb muss, wer A sagt, auch B sagen: Der Verzicht auf die weitere Ausstattung der Ukraine mit Waffen führt zu sowohl völkerrechtlich untersagten als auch moralisch verwerflichen und menschlich unsäglichen Konsequenzen (Zwangsherrschaft, Verschleppung, Entzug der Menschenrechte u.v.m.). Das ist kein Eintreten für den Krieg, sondern eine simple logische Folge unter Annahme realistischer Bedingungen. Alle, die sagen: „Stoppt die Versorgung der Ukraine mit Waffen“, müssen sich fragen lassen: Können wir wollen, was darauf folgen wird?

Die Anwendung brutalster Gewalt, auch gegen unzählige Unbeteiligte, vollkommen ungerechtfertigte Ansprüche und in diesem Zusammenhang das permanente unverfrorene Lügen in einem Maß wie sonst nur Donald Trump lässt den Wunsch nach Verhandlungen als zwecklos erscheinen – um so mehr, als diese Ansprüche aufseiten Russlands ja immer wieder ganz explizit zur Vorbedingung für Verhandlungen gemacht werden. Mehr noch: Neben der Dreingabe aller Rechte oder der Existenz einer souveränen Nation würden sie ein Beispiel dafür abgeben, wie leicht und allein mit militärischer Gewalt die Errungenschaften von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zunichte gemacht werden können.

Um es etwas anders, sozusagen metaphorisch auszudrücken:
Man stelle sich eine Population aus lauter Tauben vor, sprichwörtlich friedliebend und ohne Nahrungssorgen bis zum Ende aller Zeit. Sobald aber nur ein einziges Falkenpärchen in ihr Habitat eindringt, sind die Tauben, je nach ihrer Anzahl, früher oder später ausgerottet. Das ist zutiefst zu bedauern. Der Grund dafür liegt in der Eigenschaft der Tauben, sich nicht wehren zu können.

Im Tierreich ist diese Eigenschaft angeboren, als Menschen haben wir aber die Wahl. Es gibt Möglichkeiten, eindringende Falken abzuschrecken, und wenn das nicht hilft, zum Mittel der verteidigenden Gegengewalt zu greifen. Die Alternative wäre die Haltung eines Tieres, sich dem Angreifer zu unterwerfen und ihm seine Kehle darzubieten. Dann aber erledigt sich das Taube-Sein ganz.
Das in jeder Situation und unter allen Umständen Friedliebende führt zur Zerstörung des Friedens und der Friedensliebe.

Wir sind nicht nur ermächtigt, sondern geradezu verpflichtet, diejenigen Institutionen zu schützen und zu stärken, die unser friedliches und freies Leben sichern, darunter auch die Gewaltenteilung, die gerade in Teilen Osteuropas und jüngst sogar in Israel massiv gefährdet ist. In Russland ist sie nicht gefährdet, sondern vollkommen zerstört. Wer der Ukraine nicht hilft, sich auch militärisch zu verteidigen, fördert die weitere Ausdehnung der Unfreiheit, der Diktatur und des Leidens in der Welt.

So weit die Argumentation, wie sie sich derzeit darstellt. Es wäre aber außerordentlich wünschenswert, von ebenso guten oder noch besseren Gründen zu erfahren, wie man ohne Waffen Frieden schaffen könnte, unter Berücksichtigung aller realistischer Gegebenheiten oder Faktoren. Denn wer will nicht lieber Frieden und Gewaltlosigkeit?

  • Lothar Jung
  • 22. April 2023

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