Der Zweck des Verstehens liegt nicht darin, die „Wahrheit“ zu ergründen. Das mag überraschen, doch zumindest in Bezug auf die „absolute Wahrheit“ sind solche Versuche regelmäßig gescheitert. Schon viel gewonnen ist dagegen, wenn bewusst falsche Informationen und manipulative Meinungen als solche aufgedeckt werden. Mehr als um die „Wahrheit“ geht es also um „Wahrhaftigkeit“.
Doch auch mit dem besten Willen und den aufrichtigsten Zielen stellt der Irrtum keine Ausnahme dar, sondern die Regel. Zum Verstehen gehört die stets mitlaufende und zugestandene Möglichkeit, dass immer alles auch anders sein könnte. Das Papier mit den enthaltenen Vorschlägen und Erklärungsversuchen zu zerknüllen und getrost zu entsorgen, ist keine Schwäche, sondern eine notwendige Stufe im Prozess des Verstehens.
„Wir irren uns empor“ sagt der Philosoph und Naturwissenschaftler Gerhard Vollmer (geb. 1943).
Auf diese Weise kann man der Wahrheit dann doch wenigstens immer etwas näher kommen. Das Sichtbarmachen von neutralen und unbeabsichtigten Irrtümern, auch und gerade in der eigenen Argumentation, ist außerordentlich wertvoll, auch wenn es letztgültige Sicherheiten nie geben kann.
Noch wichtiger ist die Entlarvung von gezielten „fake news“ und Manipulationsversuchen, die durch materielle, politische oder ideologische Interessen geleitet werden.
Kellyanne Conway (geb. 1967), die Pressesprecherin des vorigen amerikanischen Präsidenten, hat mit ihrer Bezeichnung „alternative Fakten“ für offensichtlich wahrheitswidrige Darstellungen die bewusste Fehlinformation gerechtfertigt und für ein bestimmten Publikum sogar salonfähig gemacht.
Wie katastrophal eine solche Praxis der Propaganda werden kann, das hat bereits der chinesische Denker Konfuzius (551 v.Chr. – 479 v. Chr.) ausgesprochen:
„Krieg entsteht, wenn die Dinge nicht mehr mit den Worten übereinstimmen“. Wer denkt dabei nicht an die aktuellen Ereignisse?
Diese Praxis mit ihrer Verachtung der Wahrhaftigkeit gefährdet unsere Werte von Demokratie, Sicherheit und Freiheit auf eine nicht hinnehmbare Weise. Um sie zu identifizieren und durch den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Jürgen Habermas, geb. 1929, Soziologe und Philosoph) ad absurdum zu führen, müssen wir uns die Mühe machen, ganz genau hinzuschauen.