Die Wehmut und das Wolkenkuckucksheim

Der folgende Beitrag war die Grundlage für eine Pressemitteilung, die am 14.5. 2025 in der Butzbacher Zeitung erschienen ist. Redaktionsseitig wurde er darin ein wenig verändert. Hier im Original:
(Hinweis: Der Name der Organisation lautet: „Stiftung Kultur und politisches Bewusstsein“, ohne „für“ zwischen „Stiftung“ und „Kultur“. Auch im Netz kursiert teilweise die inkorrekte Version
)

Ein „Manifest“ zur Außen- und Sicherheitspolitik der SPD vonseiten mehrerer Mitglieder der Partei schlägt gerade hohe Wellen. U.a. die Herren Stegner, Mützenich und Walter-Borjans möchten den Gesprächsfaden mit Russland wieder aufnehmen und fordern perspektivisch eine Zusammenarbeit. Dieses Ansinnen hat mindestens vier eklatante Schwächen:

1. Es ist nostalgisch verträumt und gegenwartsfremd. Mitglieder dieser ehemals großen alten Partei der Mitmenschlichkeit, die als einzige dem Faschismus in Deutschland mutig entgegengetreten ist, suchen nun mit den neuen Faschisten in Russland den Dialog. Einige darunter, wie auch Politiker aus der Ost-CDU, wollen sogar die Gaslieferungen aus Russland wieder aufnehmen. Die weltanschauliche Persönlichkeitsbildung in unserer Jugend wurde maßgeblich durch die SPD beeinflusst. Die meisten von uns waren überzeugte, teils glühende Anhänger von Willy Brandt. Wie z.B. auch Olaf Scholz waren wir im Oktober 1981 Teilnehmer der großen Demonstration im Bonner Hofgarten gegen die Nachrüstungspolitik von Helmut Schmidt. Doch Brandt bewegte uns nicht nur als Friedens- und Sozialpolitiker – von Haus aus war er vor allem Antifaschist. Als solcher würde er heute dem Diktator und Kriegsverbrecher Putin mit aller Entschiedenheit entgegentreten, denn spätestens seit 2014 haben wir es, ganz anders als in den 70er Jahren und im Tauwetter der späteren 80er Jahre, mit einem imperialistischen Krieg gegen die Souveränität von Staaten zu tun.  Mit großer und echt empfundener Wehmut müssen wir uns also abwenden von einer „Welt von gestern“ (Stefan Zweig), die es so nicht mehr gibt.

2. Es ist höchst unsolidarisch gegenüber einem gepeinigten demokratisch verfassten Land. Kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 fand eine beachtenswerte Demonstration vor dem Butzbacher Bürgerhaus statt, an vorderster Front die Butzbacher SPD. Wo ist diese Solidarität geblieben bei denjenigen in der Partei, die jetzt beschwichtigen, die Russen als Partner ernstnehmen, ihre immer stärkeren Gräueltaten relativieren, mit ihnen wieder Handel betreiben wollen und somit ihre Grausamkeiten mitfinanzieren?  

3. Es ist im Positiven wirkungslos, denn die Entwicklungen werden von den Großmächten bestimmt, nicht zuletzt von einem Autokraten in Washington, welcher zunehmend die Axt anlegt an den liberalen Rechtsstaat im militärisch und wirtschaftlich mächtigsten Land der Erde. Dass sie sich mit ihrem Vorstoß inhaltlich in großer Nähe befinden zu einem amerikanischen Präsidenten, der ausschließlich aus persönlich-narzisstischen und nationalistischen Motiven heraus agiert, sollte den Initiatoren des „Manifests“ mehr als peinlich sein. Außerdem schwächen sie damit die einzig verbliebene, wenigstens einigermaßen an den Menschenrechten orientierte größere Allianz, nämlich die EU. Den meist nicht näher spezifizierten Ruf nach Verhandlungen gibt es ja mit vollem Recht schon lange, doch zwischenzeitlich ist offensichtlich, dass Putin trotz der ungeheuerlichen, das Leid der Ukrainer ignorierenden Zugeständnisse von Trump zugunsten der Verhandlungsmöglichkeit die kalte Schulter zeigt und sogar verstärkt zivile Ziele bombadieren lässt. Warum versteht man nicht, dass Menschen wie Putin und Trump leider nur Stärke akzeptieren, Schwäche aber verachten?

4. Trotz der Chancenlosigkeit ist das Ansinnen der Autoren fahrlässig bis verantwortungslos. Gegenüber dem Aggressor  betreiben sie ein ähnliches „appeasement“, wie es gegenüber Hitler im Münchner Abkommen von 1938 zur Ermutigung und unbeabsichtigten Unterstützung von dessen  Tyrannenherrschaft und Unterwerfung Europas beigetragen hat. Innenpolitisch dienen sie ungewollt der Sache der AfD und des BSW und werden damit zu Steigbügelhaltern für die Extremisten in Deutschland. Zumindest fahrlässig riskieren sie eine Schwächung und Spaltung der SPD, die trotz ihrer auf 15 % geschrumpften Wählerzustimmung so nötig gebraucht wird wie selten zuvor in ihrer Geschichte. Wie in anderen Ländern Europas droht die völlige Marginalisierung der altehrwürdigen sozialdemokratischen Volkspartei.

In Umkehrung des berühmten Wortes aus Goethes „Faust“ sind die Autoren mit ihrer Realitätsferne und Ewiggestrigkeit „ein Teil der Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“. In ihrem gesinnungsethischen Wolkenkuckucksheim leisten sie dem (sozial-)demokratischen Staatswesen einen Bärendienst.

  • Lothar Jung
  • 15. Juni 2025

ReaktorBlog

Kommentare (1)

  • Du hast es super auf den Punkt gebracht. Als politisch unabhängige, analytisch denkende Menschen können wir „Nichtpolitiker“ in diesem Land , Gott sei Dank, unsere Meinung frei äußern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 ©Stiftung Kultur und politisches Bewusstsein gGmbH, 2022