Autor: Lothar Jung

Manuskript des Redebeitrages zur Kundgebung „Butzbach steht auf gegen Rechtsextremismus“


So viele wirklich lupenreine Demokraten und Demokratinnen!

[ Begrüßung, Dank an die Mitorganisatorinnen vom Bündnis Demokratie und Toleranz, in Bezug auf diese: ]

Es waren intensive Tage – und die Zusammenarbeit, auch mit weiteren Helfern und Helferinnen, war sehr fruchtbar.

Bereits nach dem ersten Rundbrief vonseiten der Stiftung am 17. Januar gab es eine vorher nicht für möglich gehaltene Zahl von spontanen Rückmeldungen, vom bloßen „Daumen hoch“ bis hin zu konkreten und aufwendigen Mitmach-Angeboten.
Mit am meisten gefreut hat ich mich eine kurze Nachricht mit dem Text:
„Tolle Initiative, wie kann ich helfen? Liebe Grüße,  Lars Ruppel
Viele werden ihn kennen und/oder sein eigens für heute angefertigtes Video gesehen haben, wenn nicht, lasst es Euch senden. Es ist auch inhaltlich sehr passend. Und schaut mal nach auf YouTube, da sind einige sehr sprachmächtige und witzige Sachen zu sehen.

Das, was ich meine, geht aber weit über diesen einzelnen Beitrag hinaus. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie man nicht nur meckert und fordert, von den anderen und vom Staat – was enorm um sich gegriffen hat seit 20 oder 30 Jahren – sondern umgekehrt fragt: Was kannich beitragen? Mit einem Einsatz von Zeit und Energie, auch ohne kurzfristigen Nutzen.
Und genau das gilt auch für alle, die heute hier sind: Ihr opfert den halben Samstag und manche auch Zeit im Vorfeld, um einem Zweck zu dienen, der nicht einem momentanen individuellen Interesse entspringt.
John F. Kennedy  hat es vor ziemlich genau 63 Jahren bei seiner Rede zur Amtseinführung so ausgedrückt, ein berühmtes Zitat: „Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern frage, was Du für Dein Land tun kannst“. Das klingt heute ein wenig antiquiert, aber es wäre eine wichtige Leitidee und gar nicht pathetisch.

Es gibt auch andersartige Demos und Streiks an diesen Tagen, vonseiten der Bauern etwa und der Beschäftigten bei der Bahn. Die mögen berechtigt sein, doch vertreten sie nur die Interessen von ganz bestimmten Gruppen, teilweise ungewollt gegen andere Gruppen, denn Budgets sind naturgemäß begrenzt -und daraus ergibt sich ein Verteilungsproblem. 
Ganz anders die Welle, die gerade übers ganze Land schwappt und von der wir ein Teil sind: Uns geht es um die Funktionsfähigkeit und den Bestand der verfassungsmäßigen Ordnung als Ganzes. Das ist eine völlig andere Kategorie. 

Ein Jahr vieler entscheidender Abstimmungen liegt vor uns, im Juni die Europawahl, im September Landtagswahlen in drei Bundesländern im Osten, und dann im November eine, bei der kein Deutscher sein Kreuzchen machen kann, die aber trotzdem massive Auswirkungen auf Deutschland und Europa haben wird. Es gibt einen Narzissten und zehntausendfachen Lügner, der noch viel stärker, ausschließlicher und rücksichtsloser als Alle hierzulande sein eigenes Interesse vertritt. Wenn er erneut amerikanischer Präsident sein sollte, wird es zu einer weitgehend vollständigen Abkopplung der USA vom europäischen Kontinent kommen. Aber auch wenn dieser worst case nicht eintritt, wird Europa viel mehr für sich selbst aufkommen müssen, um nicht aufgerieben und bedeutungslos zu werden zwischen den Blöcken.

Wenn nicht nur Russland die Ukraine, sondern auch China Taiwan unterwerfen sollte, sind die westliche Welt, mit ihr die Wirtschaft und ein Großteil unserer Werte verloren. Das relativiert in keiner Weisedie Sünden des Kolonialismus und die jahrzehntelange Dominanz eines rein wirtschaftlichen Strebens auf Kosten des Menschlichen, der Natur und der Gerechtigkeit im Gemeinwesen. Aber es verändert die Weltordnung so sehr, dass zumindest Europa gewaltig ins Hintertreffen geraten wird – ganz zu schweigen von einem einzelnen Land. Wer in dieser Situation, wie die AfD und auch das neue Bündnis Wagenknecht, neutralistisch zwischen West und Ost das rein nationale Interesse bedienen und sich aus der EU und der NATO ausklinken möchte, ist nicht nur von vorgestern, sondern legt die Axt an unsere weltoffene Orientierung und unsere ökonomische Existenz. Das wird von Vielen einfach nicht begriffen!

So weit das grobe geopolitische Bild. Von Rassismus, Antisemitismus, Menschenrechten und Menschenwürde wird in anderen Beiträgen noch die Rede sein.

Daneben stellt sich aber auch die Frage nach der Methode, dem Umgang miteinander und dem Stil, nach der Sprache und dem Ton, der auch die Musik macht. Dazu eine kleine Anekdote, die sich tatsächlich so zugetragen hat, kein Scherz also – aber lustig – und keine Erfindung. Beim Eintippen des nämlichen Partei-Kürzels für eine Sprachnachricht vor einigen Tagen, erster Buchstabe ein großes A und dann noch zwei andere Buchstaben, wirkte vorwitzig und übergriffig die Autokorrektur: Obwohl richtig eingegeben, stand dort: „fad“…
„Wie klug, diese Sprachkorrektur“, so der erste Eindruck, aber auch: „Wie zurückhaltend, unaggressiv, fast schon freundlich“. Ich glaube, genau das ist es, was wir brauchen: Eine entschiedene und korrigierende Positionierung in einem zunächst einmal gemäßigten Ton. Doch dann, wenn die andere Seite sich nichtebenso verhält, wenn sie uns mit Überschreitungen, dreisten Lügen, Anfeindungen, Hass und Hetze überzieht, sollten wir uns das nicht bieten lassen.
Dazu ein einschlägiger Leitspruch: „Keine Toleranz gegenüber den Feinden der Toleranz!“ empfahl der Philosoph  Karl Popper . Wenn sich der Andere einseitig nicht an die Regeln eines respektvollen Umgangs hält, dann sollten auch wir Dinge sagen können wie zum Beispiel: „Braune Flaschen gehören in den Altglascontainer – und nicht in die Politik“.Oder, wie irgendwo auf einem Plakat gelesen: „Wenn die AfD die Antwort ist, wie dumm war dann die Frage?“

Ähnliches hinsichtlich der Gegenseitigkeit gilt für den arg strapazierten Begriff der „Freiheit“. Alle rufen nach Freiheit, manche setzen sie – unzutreffend – mit der Demokratie gleich. Doch es gibt bekennend nicht-liberale vorgebliche Demokraten, wie Victor Orban in Ungarn, Donald Trump in den USA oder die PIS-Partei in Polen – allesamt im scharfen Gegensatz zu unserer Vorstellung von Freiheit.
Entscheidend für den Unterschied ist allerdings nicht der folgenlose Wunsch nach Freiheit und ihre bloße Idee, entscheidend sind vielmehr die Grenzender Freiheit. Meine Freiheit hört genau dort auf, wo die Freiheit der Anderen eingeschränkt wird – und umgekehrt. Diese Grenze, diese notwendige Beschränkung des eigenen Wirkungsfelds, wird kaum noch gesehen.
Die Illusion aber und die Verheißung: „Du darfst alles und kannst alles erreichen, wenn Du nur willst“, und ähnlicher Quatsch, hat seit Jahrzehnten auch bei uns zunehmend um sich gegriffen. Der Soziologe  Hartmut Rosa  nennt es die „Illusion der Verfügbarkeit“.

Und so, wie es eine Grenze für die Freiheit gibt und für die Toleranz, so gibt es auch eine Grenze zwischen Demokratie und Autokratie. Gegenwärtig verschiebt diese sich weltweit zu Ungunsten der Demokratie: Immer mehr Autokraten, immer mehr Diktaturen.
Der bulgarische Politikwissenschaftler  Ivan Krastev  sagt: „Die Grenze zwischen Demokratie und Autokratie ist die am schlechtesten bewachte Grenze der Welt“. Es ist höchste Zeit, dass wir hier die Grenzpfähle einrammen und nicht zwischen den einzelnen Nationen.

Zum Abschluss möchte ich noch etwas sagen zum rechtzeitigen Handeln, also „Wehret den Anfängen!“ Zum Beispiel sollte man sich als Verein oder als Gewerbe in seinem Engagement für Freiheit und Demokratie nicht von der Befürchtung einschüchtern lassen, vielleicht Mitglieder oder Kunden zu verlieren, und dies, obwohl noch niemand explizit gedroht hat. Mehrfach war davon zu hören. Besonders dann ist diese Vorsicht begründet und verständlich, wenn es vielleicht schon um Existenzen geht. Doch haben wir an den letzten Tagen immer öfter auch das umgekehrte Argument gehört: Wer sich als Firma, Geschäft oder Verein nicht wie so viele andere engagiert und dazu bekennt, könnte auch gerade deshalb weniger attraktiv werden für andere Kunden oder Mitglieder.
Wie auch immer: Was wir brauchen in dieser Situation im Konflikt mit schädlichen Zielen und Interessen, sind Mut und Zivilcourage. Ihr Fehlen wareiner der Faktoren für den Beginn des Unheils vor knapp hundert Jahren.

Im Jahr 1958 blickte  Erich Kästner  auf die Nazizeit zurück. Der Schriftsteller beschrieb es so:
„Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf ‚Landesverrat‘ genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.“

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

Vortragsmanuskript „Gefährdungen und Herausforderungen der Demokratie“

mit der Einladung zur Kommentierung, gern auch kurz (siehe ganz unten)

INHALTSÜBERSICHT

I.   Einführung:  Demokratie und Populismus

II.  Krisengefährdungen

     1. Herausforderungen durch die geopolitische Situation

     2. Inflation

     3. Migration

     4. Demografie und Generationenkonflikt

     5. Klimawandel als Jahrhundertaufgabe

     6. Künstliche Intelligenz

III.  Strukturelle Bedrohungen

      1. Demokratie-Defizite in der liberalen Wirtschaft

      2. Soziale Ungleichheit und Verteilungsungerechtigkeit
(wird von Dirk Schimmel im 2. Teil vertieft)

      3. Soziale Medien und ihre zweifach anarchische Dimension

      4. Der Rechtsstaat und seine weltweiten Herausforderungen

      5. Die spezifische Gegenwartssituation in den USA

IV.  Analysen und Leitlinien:  Was können wir tun?

      1. Böckenförde-Diktum: Die Unvollständigkeit des Rechtsstaats als Auftrag

      2. Kritischer Rationalismus: Eine Methode für den demokratischen Prozess

I.  Demokratie und Populismus

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
ich möchte beginnen mit einer staunenden Frage: Ist es nicht höchst verwunderlich und erklärungsbedürftig, dass derselbe Wortstamm, nur aus verschiedenen Sprachen, zu zwei so unterschiedlichen, ja geradezu gegensätzlichen Begriffsbedeutungen führt? „Demos“ ist griechisch und heißt „Volk“, „populus“ lateinisch und heißt – „Volk“.

„Populismus“ aber ist negativ belegt, während die Demokratie als Herrschaftsform noch immer ein hohes Ansehen genießt, auch unter Populisten.
Wie wir daran und weiter im Einzelnen sehen werden, dreht sich beim Thema der Organisation unseres Staatswesens und seiner Herausforderungen zwar nicht alles, aber eine Menge um die Gesamtheit der Individuen, ihrer Rechte und Verpflichtungen in einer mehr oder weniger abgegrenzten Gesellschaft, kurzum: In einem Volk.

Von der Demokratie, ihrer Entstehung und Entwicklung und vom Zusammenhang mit verwandten, gleichwohl abweichenden Begrifflichkeiten war ausgiebig im ersten Teil des Vortrages am 2. August die Rede, wie auch von diversen Gegenmodellen.

Ihr größter Gegenspieler in der heutigen Zeit und in der westlichen Welt ist nach einer verbreiteten Ansicht nicht die Diktatur, sondern der Populismus. Ein Merkmal jedoch haben beide, Demokratie und Populismus, trotzdem gemeinsam: Ihr jeweiliger Begriff allein hat keinen Inhalt in Gestalt von bestimmten Werten und Zielen, zu deren Durchsetzung sich Gesetzgebung und Exekutive verpflichtet fühlen sollten. Im Unterschied etwa zur Republik oder zum Liberalismus enthält die Demokratie kein Programm, vielmehr kennzeichnet sie ein Verfahren, eine Legitimation für den Souverän, einen Mechanismus  zur Bildung von Parlament und Regierung.

Ganz ähnlich enthält der Begriff „Populismus“ selbst noch kein einzelnes Thema, keine näher bezeichneten Werte. Für den Politikwissenschaftler Jan Werner Müller, der in Princeton lehrt, bestehen die beiden Hauptkriterien für dessen Kennzeichnung zum Einen in der Ablehnung eines Wertes, nämlich von Vielfalt oder Pluralismus, also eine negative Definition. Zum Anderen und vor allem ist es der Umstand, dass es die Populisten sind, die sich als die einzig wahren Vertreter des Volkes sehen, wiederum zunächst ohne jede inhaltliche Bestimmung, vielmehr wie im Falle der Demokratie als Legitimationsmerkmal.
Andere Beobachter heben ab auf die Differenz von „elitär“ oder „etabliert“ und „anti-elitär“. Das Feindbild der Populisten ist nicht die Demokratie, sondern pauschal die Elite, wobei sich im populistischen Spektrum selbst durchaus auch wirtschaftlich sehr etablierte Akteure und sogar Intellektuelle finden, die sich dann um so mehr stark machen für das, was für sie „das Volk“ ist. Da wird es dann irgendwie inkonsequent oder je nach Verhalten sogar bigott.
Wieder andere betonen die Bedeutung nationaler Größe, analog dem amerikanischen „MAGA“: „Make America Great Again“, eine Floskel, die fast alle dort kennen und 35 bis 40 % aller Amerikaner und etwa zwei Drittel bis drei Viertel innerhalb der Republikanischen Partei ausdrücklich bestätigen; auf uns bezogen: „MGGA“, also „Make Germany Great Again.“ Auch hierdurch wird noch wenig über konkrete Ziele und Inhalte gesagt, doch in allen Definitionsversuchen spielt das Verhältnis zum Volk oder das, was man dafür hält, eine entscheidende Rolle.

 „Vox populi, vox dei“, „Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes“ hieß es im alten Rom, um das Teilhabe-Recht der nicht privilegierten Menschen, der Plebäer, zu beschreiben. Aber auch deren Wille musste repräsentiert, also kanalisiert werden, im durchaus mächtigen Amt des Volkstribuns. Dass auch ein solcher sich nicht selten erhaben fühlte über den Willen des einfachen Volkes, hat in moderner Zeit, aber schon vor einem halben Jahrhundert, Franz Josef Strauß verkörpert und zum Ausdruck gebracht mit seiner legendären Abwandlung „Vox populi, vox Rindvieh“. Diese populistisch-anti-populistische Verächtlichkeit könnte sich heute wohl niemand mehr leisten. Abgesehen davon, dass sie einen Selbstwiderspruch enthält angesichts des nach wie vor höchst lebendigen bayrischen Bierzelt-Populismus‘.

Der Koblenzer Historiker Christian Geulen liefert eine auf den Rechtsstaat bezogene und zugleich sehr kritische Definition von „Populismus“. Ihm zufolge entfernen sich Populisten immer mehr von den historisch gewachsenen Institutionen und ersetzen die Teilhabe durch Selbstermächtigung, was dem demokratischen Verfahren entgegensteht: „Aus der Stimme des Volkes als Souverän machen sie die Stimme des kleinen Bürgers, der es trotzig besser weiß, weil er sich schon längst nicht mehr souverän fühlt.“
Hinsichtlich der beobachtbaren Verhaltensweisen könnte man ergänzen: Populismus  bezeichnet ein vereinfachendes, undistanziertes, wenig reflektiertes, oft nicht von Fakten gestütztes, forderndes und manchmal auch aggressives Verhalten.

„Demokratie“ hingegen ist wie gesagt, auch und gerade von den meisten Populisten hier zu Lande, erwünscht und sehr positiv assoziiert.
Doch Achtung, „Triggerwarnung“: Das Bild von einer realisierten Volksherrschaft wird im Folgenden einige Kratzer bekommen. Das heißt allerdings nicht, dass seine Bedeutung als Leitbild und fruchtbare Utopie auch nur im geringsten eingeschränkt werden soll. 

II.  Krisengefährdungen

1. Herausforderungen durch die geopolitische Lage

Der Begriff der „Zeitenwende“ aus dem Mund des Bundeskanzlers im Februar 2022 lässt sich auf viele einzelne Entwicklungen anwenden, doch war er ursprünglich nur geopolitisch motiviert im Zusammenhang mit dem Einfall des russischen Militärs in der Ukraine. Selten scheinen Schuld und Ursache für einen Konflikt so eindeutig festzustehen, doch hatten zum Einen die Sorglosigkeit in der bequem etablierten Demokratie seit den neunziger Jahren und andererseits der klare Vorrang rein wirtschaftlicher Erwägungen zum Wiedererstarken des russischen Imperialismus beigetragen. Leider erst im Nachhinein weiß man, dass durch die freiwillige Abhängigkeit von billigen Rohstoffen und die beide Augen zudrückende Beschwichtigungspolitik nun auf lange Sicht gesehen wesentlich höhere Kosten anfallen in Gestalt von Militär- und Aufbauhilfen für die Ukraine und viel mehr noch für Energie und Verteidigung im eigenen Land. Diese Kurzsichtigkeit politischen Handelns in fast allen Parteien sollte doch ein Lehrbeispiel dafür hergeben, dass und wie im Falle des Klimawandels rechtzeitig auf die drohende spätere Präsentation einer gigantischen Rechnung reagiert werden sollte. Und damit sind die nicht-materiellen Aspekte des zutiefst Inhumanen im Krieg und des gesunden Naturverhältnisses noch gar nicht angesprochen.  

Als mittel- und langfristig noch bedrohlicher für das westliche System und seine Lebensweise könnte sich allerdings das auch nach außen zunehmend autokratische Gebaren der Weltmacht China erweisen. Man mag sich nicht ausdenken, was passiert, wenn irgendwann wie unverhohlen angekündigt auch Taiwan Opfer des Versuchs einer Einverleibung werden sollte. Nicht nur dort und in Japan, Südkorea und anderen ostasiatischen Staaten, sondern auch und gerade in den USA wird diese Gefahr ungleich klarer gesehen als hier bei uns in Europa.
Doch auch dann, wenn wir militärisch vollkommen unbehelligt bleiben, könnten wir gezwungen sein, rein aus Gründen wirtschaftlicher Konkurrenz zur Vermeidung eines Vasallenstatus‘ ähnliche überwachungskapitalistische Maßnahmen einzuführen, wie sie in China gang und gäbe sind. Das wäre das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen und in welcher wir uns so gemütlich eingenistet haben seit einem ganzen Menschalter.

2. Inflation

Die Krise durch die Wohlstandverluste aufgrund der Inflation gehört zu denjenigen, die für eine Mehrheit in der Bevölkerung ganz unmittelbar zu spüren sind und waren. Zwar zeigt die gestern erschienene Zahl einer weiter verminderten Rate von 3,8%, dass der Trend rückläufig ist, doch bleibt noch ein weiter, möglicherweise kurvenreicher Weg bis zu den von den Zentralbanken als gesund eingestuften 2%. Zudem waren ja schon die seit bereits etwa eineinhalb Jahren aufgelaufenen Kaufkraftverluste Grund für schmerzhafte Einbußen. Die Aufnahme von Krediten für Wohneigentum ist für weite Teile des Mittelstands unmöglich geworden, und die weiterhin hohe Teuerungsrate von mehr als 6% speziell für Lebensmittel belastet überproportional die materiell Schwächeren, für die an Wohnungseigentum ohnehin nicht zu denken ist.

Auf den ersten Blick eine innerökonomische Angelegenheit, hat das Problem der Inflation auch eine demokratiepolitische Komponente. Die Geldentwertung vergrößert die Spreizung des Wohlstands und führt dazu, dass ein lange geltender Grundsatz, nämlich, dass es jeweils die Kinder und Enkelkinder einmal besser haben sollen, der Vergangenheit angehört und zu einer Verstärkung des ohnehin grassierenden Vertrauensverlustes gegenüber dem Staat führt. „Ein System, welches nicht für uns sorgen kann“ – Erfahrungen und Einschätzungen dieser Art schwächen nicht nur den Liberalismus, sondern auch die Demokratie.

3. Migration    

Neben der Inflation findet sich in aktuellen Umfragen zu den am meisten belastenden Krisen der Gegenwart die Migration als Antwort. Da ungleich weniger Menschen direkt davon betroffen sind als vom Kaufkraftverlust, stellt sich die Frage, ob hier vielleicht auch die Darstellung in Presse, Fernsehen und den sozialen Medien einen aufblähenden Effekt hat. Dennoch nehmen die berechtigten und gut begründeten Klagen über Grenzen der Belastbarkeit zu. Auch objektiv sind diese Limits vielerorts erreicht oder bereits überschritten.

Jenseits der Diskussion um Obergrenzen, Pull-Faktoren, Integration und Abschiebung zeigt sich hier ein ganz grundsätzlicher, vielleicht unauflösbarer Konflikt zwischen Humanität und Belastbarkeit, zwischen Moral und Praktikabilität, zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gemäß einer prinzipiellen Unterscheidung des Soziologen Max Weber. Wie bei mehreren der anderen Themen wäre darüber leicht ein ganzer Abend zu füllen. Es scheint einiges dran zu sein an der Aussage in einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck im September 2015 auf dem Höhepunkt der damaligen Flüchtlingswelle: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich“. Laut eigener Aussage hat er lange mit seinen Mitarbeitern an diesem Satz gefeilt.

Wie in der Physik bei dem Phänomen der Kommunizierenden Röhren scheint es auch in der gesellschaftlichen Dynamik einen Ausgleichsmechanismus zu geben zwischen den beiden Polen: Sobald das Gleichgewicht gestört ist durch ein Zuviel an Willkommenskultur bei wenig Aufnahmekapazität oder umgekehrt durch zu wenig Solidarität bei schockierenden und Mitleid auslösenden Vorgängen und Bildern, pendeln sich die beiden Pole wieder auf einem gemeinsamen Stand ein. Dabei wird auch deutlich, dass es vor allem schnelle Änderungen sind, nicht die absoluten Zahlen und Zustände an sich, die zu Irritationen führen.  

4. Demografie und Generationenkonflikt

Ähnlich wie die Klimaveränderung stellt die demografische Entwicklung eine in vielen westlichen Ländern schleichend sich verstärkende Krise dar, bei einer gleichzeitig guten Datenlage zur längerfristigen Berechnung eintretender Auswirkungen. Im Unterschied zur künstlichen Intelligenz, siehe nächster Punkt, wissen wir hier ungleich besser, wo die Reise hingeht.

Sowohl im Renten- als auch im Gesundheitssystem werden die Kosten vorhersehbar explodieren, weil die Zahl der Leistungsempfänger stetig zu-, die der Einzahler aber abnimmt. Der Effekt potenziert sich dadurch, dass die Aufwendungen für die Krankheiten und die Pflege Älterer ganz naturgemäß um ein Vielfaches höher ausfallen als die Kosten für junge Menschen.
Das demokratische Prinzip „Eine Person, eine Stimme“ enthält keine Lösung für dieses Problem, ganz im Gegenteil: Indirekt, aber sehr wirkungsvoll verstärkt es die Krise. Wenn sich die Alterspyramide auf den Kopf stellt, wenn es also immer mehr alte Menschen gibt im Vergleich zur Anzahl der Jüngeren, zahlt es sich für die politischen Parteien aus, stärker im Interesse der Älteren zu handeln, einfach weil es mehr Stimmen einbringt als für die heute Jungen. Die Letzten beißen die Hunde, im doppelten Sinne. Dieses Problem bestand nicht zur Zeit des Ringens um die Verfassung und die Absicherung des liberalen demokratischen Rechtsstaates. Also müssten hier grundsätzlichere Anpassungen erfolgen als nur Renten- und Beitragserhöhungen, mit einer hohen Kreativität, der Einigkeit der staatstragenden Parteien und einer bisher vernachlässigten Langfristigkeit des Denkens und der Modelle.

5. Klimawandel als Jahrhundertaufgabe

Der Klimawandel unterscheidet sich von der Krise durch die Inflation auch im Zeitrahmen für die Auswirkungen. Sind es dort meist wenige belastende Jahre innerhalb von Wirtschaftszyklen, treten hier die Besorgnis erregenden Entwicklungen nur allmählich und über Jahrzehnte hinweg ein – in dieser Hinsicht ähnlich der demografischen Entwicklung. Gleichzeitig aber läuft uns für wirksame Maßnahmen die Zeit davon. Das Problem der Klimakrise besteht also nicht nur in Wellen unerträglicher Hitze, fatalen Überschwemmungen oder dem Absterben biologischer Arten, sondern in Bezug auf unser politisches System in einem massiven Auseinanderfallen der Zeithorizonte für die Auswirkungen einerseits und die Durchführung effizienter Maßnahmen auf der anderen Seite. Deren Kosten, materiell wie auch hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhalts, fallen sofort an, die Gewinne aber nur allmählich und über Jahrzehnte hinweg. Zudem sind es Gewinne in Gestalt vermiedener Kosten, und diese, so sagt es die Wirtschaftspsychologie, werden weitaus weniger überhaupt als Gewinne empfunden. Dies trägt bei zu einer Erklärung, warum wirkungsvolle Maßnahmen so schwer durchzusetzen sind.
Die Zeitfenster schließen sich, doch demokratische Beratschlagungs- und Entscheidungsprozesse benötigen eben viel Zeit – ein weiteres Dilemma für die Gesetzgebung im Rechtsstaat. Es scheint, als könnten autoritäre Systeme weitaus schneller und wirksamer auf die Verschlechterung der Lage reagieren, was demokratisch verfasste Staaten ins Hintertreffen geraten lässt, weil Freiheit und Selbstbestimmung im Wertekanon nicht nur mit enthalten sind, sondern anderen Zwecken wie dem des Naturerhalts und der Erwärmungsbegrenzung vorgeordnet erscheinen.   

6. Künstliche Intelligenz 

Nur wenige Worte zur Künstlichen Intelligenz – nicht, weil sie keinen großen Auswirkungen hätte, sondern weil sie auf die Meisten noch nicht unmittelbar bedrohlich wirkt.
Der Effekt in Form des Verlusts von Arbeitsplätzen ist noch gering, wird sich aber vervielfachen. Die technologischen Fortschritte der letzten wenigen Jahre sind so beträchtlich, dass sich selbst nur bei einer linearen Fortschreibung mittelfristig grundsätzliche Fragen mit höchster Relevanz für Staat und Gesellschaft stellen werden – erst recht aber bei der tatsächlich zu beobachtenden Beschleunigung der Fähigkeiten künstlicher Systeme. Was bedeutet die Erweiterung des individualistischen „Ichs“, also die Grundlage für Liberalismus und Humanismus, durch unvorstellbare Datenmengen für nichtmenschliche Denkhilfen? Was wird eine „Person“ noch sein und wer der Souverän, wenn die Individuen mit Exo-Gehirnen und ihre Gehirne vielleicht auch unter einander verkoppelt sind? Könnte es einst Maschinenrechte geben, so wie heute Menschenrechte und leider nur sehr ansatzweise Tierrechte?  Die Entwicklungen und ihre Folgen sind zum allergrößten Teil nicht vorhersehbar, da sie vom technischen Fortschritt abhängen. Klar scheint nur, dass auch die Organisation des Staatswesens massiv davon beeinflusst werden wird. 

III.  Strukturelle Bedrohungen

  1. Demokratie-Defizite in der liberalen Wirtschaft

Die meisten und darunter sehr bedeutende Einschränkungen der demokratischen Legitimation finden sich gerade dort, wo das liberale Prinzip am meisten ausgeprägt ist: In der Wirtschaft.
Für Colin Crouch, den britischen Soziologen und Politikwissenschaftler, ist Lobbytätigkeit eins der Hauptmerkmale der von ihm so benannten „Postdemokratie“. Weitere wären auch viele andere Verlagerungen von Entscheidungen auf nichtdemokratische Institutionen, eine allgemeine Demokratiemüdigkeit und die Untätigkeit der Regierungen bei sich verschärfenden sozialen Gegensätzen. Auch deshalb ist er wie zahlreiche andere Wissenschaftler wenig optimistisch im Hinblick auf den Erhalt einer ursprünglichen, nicht fassadenhaften Demokratie. In der heutigen Postdemokratie bestehen zwar die Institutionen noch, wichtige Weichenstellungen aber werden abseits des Staates und ohne demokratische Legitimation vorgenommen. Eine der schädlichsten Wirkungen geht vom Lobbyismus aus, von dem viel zu wenig die Rede ist und dessen fließende Grenze zur Korruption sich sehr oft überschritten findet.

Stark verurteilt, auch und gerade von wirtschaftsliberaler Seite, werden Kartelle in allen Branchen, weil sie den freien Wettbewerb verhindern. Das Problem besteht darin, dass diese nur schwer verfolgt werden können, weil sie im Geheimen agieren. Eine besondere Pointe aber liegt darin, dass ein Teil davon auch ohne jede Absprache, nur mit Annahmen über die Verhaltensweisen von Mitbewerbern funktioniert. Einschlägig ist ein historisches Beispiel außerhalb der Wirtschaft im Kriegswesen: Im ersten Weltkrieg auf holländischem Boden, auf dem sich deutsche und britische Soldaten in den Schützengräben gegenüber lagen und über Monate erbitterte Kämpfe geliefert hatten, kam es auch ohne jede Kommunikation zwischen den Soldaten sowie ohne Wissen und somit ohne Einwilligung der vorgesetzten Offiziere zu einer stummen „Absprache“ an Weihnachten durch gegenseitiges absichtsvolles Danebenschießen, mit dem erreichten Ziel des praktischen Waffenstillstands für ein oder zwei Tage. Danach war wieder Krieg.
Ähnlich kann die Beobachtung des Verhaltens von Anbietern oder Einkäufern auf den Märkten dazu führen, dass Preise und ihre Bewegungen ohne jede Absprache zum Vorteil aller Beteiligten und zum Nachteil der Kunden stattfinden.

Wenig beachtet ist darüber hinaus die Bundesbank bzw. Europäische Zentralbank als demokratisch nicht legitimierte Institution. Womit keineswegs gesagt sein soll, dass es nicht gute Gründe gäbe für die Unabhängigkeit der Zentralbanken bei der Geldmengensteuerung, ganz im Gegenteil. Doch muss man sich vor Augen halten, dass wir hier einen mächtigen Player im Gemeinwesen haben, den und dessen Zinsentscheidungen niemand aus dem Volk gewählt hat. 
Ähnliches gilt für folgenreiche milliardenschwere internationale Wirtschaftsabkommen, die von ernannten Experten, nicht von Vertretern des Wahlvolks ausgehandelt werden.
Und auch die Mitglieder der Europäischen Kommission sind im Unterschied zum weniger mächtigen Europäischen Parlament nicht gewählt, sondern unter einander verhandelt und dann ernannt.
Schließlich sind auch die Vorgaben der Bürokratie in der Verwaltung und der Wirtschaft, wenn auch in vielen Fällen vorteilhaft im Sinne der Gerechtigkeit, letztlich eine Machtbeschneidung des gewählten Parlaments, auch durch die Eigenlogik der sich dort stetig erhöhenden Komplexität.

Mit all dem soll nicht denjenigen zugestimmt werden, die behaupten, auf den genannten Ebenen herrsche entweder Autokratie oder eine undurchsichtige Mauschelei. Doch dort, wo es mögliche Defizite im Verhältnis zum Volkswillen gibt, müssen sie benannt und mit Blick auf den im Kapitel  IV. 2. noch zu behandelnden Kritischen Rationalismus betrachtet werden.

2. Soziale Ungleichheit und Verteilungsungerechtigkeit

Hierzu wird dann Dirk Schimmel im zweiten Teil referieren, deswegen an dieser Stelle nur eine Skizze der Ausgangslage, wie sie sich für den amerikanischen Philosophen John Rawls in seinem Buch „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ von 1971 dargestellt hat: Die wirtschaftlich Bessergestellten haben natürlich keinerlei Interesse daran, dass sich an diesem Zustand etwas ändert, die Armen aber haben nicht die Macht und Möglichkeiten dazu.

3. Soziale Medien und ihre zweifache anarchische Dimension

Die sogenannten Sozialen Medien spielen heute eine ähnliche Rolle wie der Marktplatz in der griechischen Ur-Demokratie, nämlich mit der Herstellung von Gleichzeitigkeit in der Kommunikation und bei den Entscheidungsprozessen. Bei nur ungefähr 35.000 Wahlberechtigten in der attischen Demokratie, von denen sich tatsächlich etwa 6.000 bis 12.000 bei den Versammlungen trafen, war eine direkte Demokratie noch möglich. Völlig andere Voraussetzungen lagen dagegen im Römischen Reich vor und danach im frühen amerikanischen Territorialstaat: Allein die schiere Größe verhindert ein direkte Teilnahme und macht eine Repräsentation, eine Vertretung der Wahlberechtigten und somit eine Kanalisierung ihres politischen Willens nötig.  

Schon mit der Briefwahl, erst recht aber durch das world wide web rücken die Gemeinschaften hinsichtlich ihrer Beteiligung wieder zusammen, ohne aber im Raum zusammenkommen zu müssen. Die Geografie mit den damit verbundenen Aufwendungen und Zeitverlusten begrenzt die Wahlen und die Repräsentation nicht mehr. So gesehen sind wir heute Home-Office-Demokraten.

Die entscheidende Wende, den entscheidenden qualitativen Sprung nicht nur zum Vorgang der Wahl, sondern für den kommunikativen Austausch überhaupt bringen allerdings erst die Sozialen Medien, und erst in diesem noch jungen Jahrhundert. Sowohl die Revolution durch den Buchdruck als auch Flugblätter und Zeitungen wie auch im Wesentlichen das Internet mit Homepages für die verschiedensten Anbieter und Akteure war bis zur Etablierung der sozialen Medien eine weitgehend einseitige Angelegenheit: Unzählige Leser und Empfänger standen relativ wenigen Veröffentlichenden und Sendern gegenüber, mit nur wenig Feedback durch Leserbriefe, Anrufe im Studio und dergleichen. Der Austausch in beiden Richtungen, ganz wie im Gespräch, aber weltweit ohne Präsenz möglich, hat die Geschwindigkeit der Kommunikation enorm beschleunigt, mit allen Vor- und Nachteilen. Die Relevanz für die Stabilität unseres politischen Systems besteht darin, dass sich mit den technischen Schranken der Austauschbarkeit auch die verhaltensmäßigen Schranken des Umgangs miteinander verändert haben. So wird die Willensbildung durch Unbedachtheit, durch Emotionen und Affekte torpediert. Um so mehr gilt das, als die Algorithmen der großen Unternehmen wie Google, Meta, Twitter, Tiktok usw. die Erregtheit bewirtschaften, das heißt, je mehr der Sensation und Emotion Raum geboten wird, desto mehr einträgliches Werbegeschäft kann lanciert werden.
Dies geschieht zunächst aus rein wirtschaftlichen Gründen der Profitsteigerung, hat aber fatale Auswirkungen auf Vernunft, Achtung und Respekt in der demokratischen Willensbildung. Die zweifache Anarchie liegt darin, dass es aufseiten der Anbieter kaum Regulierungen gibt, am ehesten noch in der EU, aber auch dort wird sie ständig verschoben und unterlaufen. Aufseiten der Nutzer schränkt, von extremen Ausnahmen abgesehen, kein Kodex das Verhalten ein. Im Zweifel ist es paradoxer Weise das demokratische Recht der Meinungsfreiheit selbst, welches die Verrohung erlaubt und ihr Vorschub leistet.

4. Der Rechtsstaat und seine weltweiten Herausforderungen

Nach § 38 des Grundgesetzes sind Wahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Doch selbst wenn sich diese Maßgaben im Großen und Ganzen eingehalten finden, gibt es noch weitere Merkmale, die eigentlich ähnlich wichtig wären. Wahlen sollten auch fair sein, doch das wird im Vorfeld in bestimmten Ländern regelmäßig verletzt, selbst wenn die anderen fünf Voraussetzungen gegeben sind. Dazu gehört zum Beispiel die Unterwanderung oder mehr oder weniger offene Übernahme  der sog. „Vierten Gewalt“, also von Presse, Rundfunk und Fernsehen.

Üblicher Weise gehört es zu den ersten Maßnahmen der nicht-liberalen Demokraten, also letztlich von Scheindemokraten, die Presse zu kontrollieren. Eine weitere Vorgehensweise nimmt die Besetzung der im Rechtsstaat unabhängigen Gerichte in’s Visier. Richter werden vorzeitig pensioniert und genehme Amtsträger rücken nach, denn sie werden wie auch bei uns berufen, nicht gewählt. Auf diese Weise wird nicht nur der Rechtsstaat ausgehölt, sondern das Regieren auch inhaltlich geöffnet für höchst gefährliche Weichenstellungen, ob in der Türkei, den Philippinen, Polen oder Ungarn.
So hat z.B. Victor Orban proaktiv den „illiberalen demokratischen Staat“ eingeführt und ihn ganz offen auch so benannt und beworben.

Schließlich müssen Wahlen nicht nur fair durchgeführt, sondern auch akzeptiert werden. Damit sind wir beim letzten Punkt unter III:   

5. Die spezifische Gegenwartssituation in den USA

Ich glaube, es ist kaum übertrieben, von einem „Krebsgeschwür“ in der globalen Demokratie zu sprechen, und zwar ausgerechnet an ihrem Zentralkörper, dem Mutterland der demokratischen Verfassungen seit dem 18. Jahrhundert. Die Gefahr für die Systemstabilität in den vorstehenden Beispielen ist groß genug, doch die Kluft zwischen der demokratischen Ursprungsintention und den Realverhältnissen während der letzten Jahre hat nirgendwo so weitreichende Auswirkungen wie in den Vereinigten Staaten. Deshalb sollte alles darangesetzt werden, die Bildung von Metastasen in anderen Gegenden der Welt zu verhindern. 

66% der republikanischen Wähler sagen nach der neuesten Umfrage von CNN, dass selbst für den Fall, dass die Anklagen gegen Trump gerechtfertigt sind, dies keine Rolle spiele für ihre Entscheidung. Nur bezogen auf South Carolina, dem Staat, aus dem gleich zwei der sechs Bewerber der Republikaner kommen, führt Trump mit 52 zu 23 Prozent vor Nikki Haley, eben aus South Carolina. Ihre bundesweiten Werte als derzeit Zweitplatzierte liegen weit darunter und die von Trump noch höher innerhalb der gesamten republikanischen Partei.

Von Anfang an gab es in den USA das am besten ausgeklügelte System für die gegenseitige Kontrolle der Machtebenen, die „checks and balances“, gleichzeitig aber auch Regulationen, die das Attribut „demokratisch“ nicht verdienen. Z.B. sitzen im einflussreichen Senat je zwei Vertreter der einzelnen Staaten, wobei Wyoming etwa 580.000 Einwohner hat (also weniger als ein Zehntel der Einwohnerzahl von Hessen), Kalifornien aber mehr als 40 Millionen. Das Sytem der feststehenden „Wahlmänner“ für jeden Staat führt dazu, das oftmals ein Präsident gewählt wird, der landesweit weniger Stimmen erhalten hat als sein Konkurrent oder seine Konkurrentin, während der letzten Jahrzehnte immer zu Ungunsten der Demokraten. Denselben Effekt haben auf regionaler Ebene die Zuschnitte der Wahlkreise, die von der jeweils regierenden Partei fast nach Belieben festgelegt werden können.
Mehr als eine Unsitte ist die Wahlkampf- und Parteienfinanzierung, die inzwischen Milliarden verschlingt, wobei es kaum ein Vorteil ist, mehr auszugeben, aber ein großer Nachteil, die Finanzierung zu reduzieren. Auf diese Weise erhalten große Firmen und vermögende Einzelpersonen einen enormen Einfluss auf das Regierungshandeln – eine legale Art der Korruption. Geld regiert die Welt, nirgendwo so sehr wie auf dem Boden der Vereinigten Staaten.

Man könnte die Liste der undemokratischen Einflüsse weiterführen, bis hin zu den gesammelten Lügen vieler Amtsbewerber, gipfelnd in nachweislich zehntausenden davon vonseiten des ehemaligen Präsidenten und aussichtsreichen Bewerbers für eine neuerliche Präsidentschaft – fünf Strafverfahren mit 91 Anklagepunkten zum Trotz, was ihn unter seinen Anhängern keineswegs disqualifiziert, ganz im Gegenteil. In Deutschland reichte im Jahr 2021 vermutlich ein kurzer Lacher an der falschen Stelle, um nicht mehr Kanzler werden zu können. In den USA ist die politische Moral in manchen ihrer Teile so sehr verrottet, dass wir alles daran setzen sollten, nicht davon angesteckt zu werden.

IV.  Analysen und Leitlinien: Was können wir tun?

1. Böckenförde-Diktum: Die Unvollständigkeit des Rechtsstaats als Auftrag

U.a. durch die Spaltung der christlichen Kirche (gestern hatten wir Reformationstag), aufgrund der Menschenrechts-Ideale der französischen Revolution und als Folge der Aufklärung kam es zu einer allmählichen Säkularisierung, also Verweltlichung der Gesellschaft. Somit schwand der Einfluss von Geboten und des Gewissens, die Notwendigkeit einer säkularen, dann im speziellen einer rechtsstaatlichen Regulierung hingegen nahm zu.
Die grundsätzlichen Werte des Liberalismus waren Vielfalt und Freiheit, doch damit gab es von Anfang an ein Problem, denn die je eigene Freiheit hat dort ihre Grenze, wo dadurch die Freiheit der Anderen eingeschränkt wird, weil die Freiheitsrechte ja für alle gelten. Nur deshalb sind es „Menschenrechte“.

Somit braucht es also Institutionen, die diese Grenzen im Einzelnen in Gesetze gießen und durchsetzen. Historisch überwog die Ansicht, dass solche Regulationen nicht ausreichen, um das Verhalten der Menschen in rücksichtsvolle Bahnen zu lenken, z.B. bei Machiavelli, John Locke oder Montesquieu (das ist der mit der so wichtigen Gewaltenteilung). Der große Aufklärer Immanuel Kant hingegen war einer der Wenigen mit der Ansicht, dargelegt in seiner späten Schrift mit dem Titel „Zum ewigen Frieden“, dass mit Klugheit und Vernunft und der wechselseitigen Kontrolle der Institutionen und Organe ein Staatswesen so zu bauen sei, dass es ausreichend Sicherheit und zugleich Freiheit gewähren könne. Dadurch ließe sich „selbst eine Welt aus lauter Teufeln“ wirkungsvoll regieren und kontrollieren, mit anderen Worten: Für die Funktionsweise eines klug konzipierten Gemeinwesens bedürfe es keiner Tugenden.

Hier setzt das Böckenförde-Diktum an, mit einer dem widersprechenden Aussage:

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er um der Freiheit willen eingegangen ist … “
Der fettgedruckte Teil des Zitats ist der wahrscheinlich am häufigsten zitierte Satz in der Staatstheorie und der Rechtsphilosophie.

Durch was aber, durch welche Tugenden, Überzeugungen und nicht rechtlich, sondern moralisch verpflichtenden Elemente können die Funktionsweise des Staates, sozialer Frieden und ein größtmöglicher Interessenausgleich erreicht werden? Die Antwort von Böckenförde lautet: Mit Gewissheit gar nicht, es bleibt eben ein Wagnis, welches wir eingehen können und sollen, wenn die Ideale des Humanismus, der Aufklärung und der Religion umgesetzt werden. Dabei sind die religiösen Anstöße nicht mehr unbedingt notwendig, aber im Allgemeinen hilfreich. In jedem Fall genügen die Regulierungsmechanismen des demokratischen Rechtsstaates nicht, selbst wenn er mit ausgetüftelten „checks and balances“ ausgestattet ist, wie wir sehr deutlich am Beispiel der USA gesehen haben.  

Der Arm des Rechts allein reicht also nie so weit, dass wir undemokratische, unmoralische oder dysfunktionale Handlungen ausschließen können. Die angesprochenen Kartelle zum Beispiel können legal schon deshalb nicht eingedämmt werden, weil man sie überhaupt nicht als solche erkennen kann: Es sind ja stumme „Absprachen“, nicht einmal geheime. Es braucht also Tugenden, Gewissensbildung und ethische Leitlinien zur Verhaltensregulation.
Ein zweites Beispiel: „Dienst nach Vorschrift“ ist rechtsstaatlich in Ordnung, also vollkommen legal, aber ggf. nicht legitim. Nicht nur unter Beamten, sondern auch in der Wirtschaft und im öffentlichen Leben ist so etwas wie Loyalität, intrinsische Motivation, Einsatzbereitschaft und ganz allgemein ein moralisches Verhalten notwendig.
Noch mehr aber und universal gilt für uns alle, dass es nicht genügt, alle paar Jahre wählen zu gehen und uns ansonsten auf den Rechtsstaat zu verlassen. Vielmehr sind wir aufgefordert, hohe ethische Maßstäbe an das eigene Handeln anzulegen und all seine möglichen Folgen zu bedenken, auch in langfristiger Hinsicht, statt in Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit und Teilnahmslosigkeit zu verharren.

2. Kritischer Rationalismus: Eine Methode für den demokratischen Prozess

Ausgangspunkt für Karl Popper war die wiederholte Erfahrung mit früheren Theoriegebäuden, die letztlich alle scheiterten, darunter besonders das Schicksal der Newton’schen Physik und Kosmologie mit der Ablösung durch die revolutionären Erklärungen von Albert Einstein. Gerade deshalb werden nicht „die Wahrheit“ und absolute Sicherheit angestrebt, sondern nur allmählich bessere Erklärungen. Weil sich diese immer wieder als falsch oder zumindest als unvollständig erwiesen hatten, sollte das alte Konzept des Wahrheitsnachweises ganz fallen gelassen und durch das Streben nach fortwährender Bewährung durch Kritik ersetzt werden.
Wer sich guten Argumenten verschließt, „immunisiert“ sich gegen Kritik und behindert so den Erkenntnisfortschritt. Der Populismus verstößt massiv gegen diese Methode, indem er seinen Anspruch, allein die Interessen des Volkes zu vertreten, absolut setzt, schamlos mit simplen Lügen arbeitet und ggf. bessere Argumente und Faktenprüfungen schlichtweg ignoriert.
In den meisten Ländern steht die demokratische Mehrheit nicht hinter den populistischen Verzerrungen, doch selbst dann, wenn das der Fall ist und Populisten die Regierung stellen, bedeutet es noch nicht, dass offene Kritik nicht notwendig wäre. Ganz im Gegeteil, denn regelmäßig definieren sich Machthaber durch zunehmende Illiberalität, durch das Kapern der Gerichte und die Vereinnahmung der öffentlichen Meinung, um Minderheiten zu unterdrücken. Dann ist es in vielen Fällen bereits zu spät – also wehret den Anfängen!

Es gab ein starkes Hoffnungselement vor eineinhalb Wochen, nämlich das Wahlergebnis in Polen, wo offenbar die Ablösung der illiberalen PIS-Partei, die die Axt an den Rechtsstaat angelegt hat, gelungen ist. Weil diese als nach wie vor stärkste Partei aus den Wahlen hervorging, war das nur möglich durch ein Dreierbündnis an sich recht unterschiedlicher Parteien, doch mit dem einenden Ziel, die Demokratie zu retten.
Nutzen und Notwendigkeit der Bündelung von Kräften und Initiativen sollten auch hier in unserer Kommune erkannt werden, in allen drei Organisationen, dem Demokratikum, dem Bündnis für Demokratie und Toleranz und der Stiftung Kultur und politisches Bewusstsein – im Grundsatz mit dem gleichen Ziel, doch alle nach ihren je eigenen Orientierungen, Schwerpunkten und Fähigkeiten.

1. November 2023

Ehrenamtliche Beiträge zum inhaltlichen Angebot

Das Buchlektüre-Seminar „Unsere Welt neu denken“ stand unter dem Vorzeichen des gemeinsamen Lesens und Debattierens. In drei der insgesamt neun Sitzungen profitierten wir jedoch zusätzlich von Impulsvorträgen vonseiten verschiedener Fachfrauen. Die Diplompsychologin Susanne Wächtershäuser-Vespermann referierte am Donnerstag, den 10. November 2022 (siehe unter „Veranstaltungen in der Vergangenheit“/“Dritter Abend Buchlektüreseminar“). Am 9. Februar 2023 führte die studierte Ökonomin Stefanie Krause (gleichzeitig Mitveranstalterin als Vorstand von dasgute.haus) ein in das „Gefangenendilemma“ als Modellsituation für viele Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Eine gesellschaftstheoretische Sicht auf das Thema hat uns am 13. April 2023 die Gießener Soziologin Dr. Michaela Goll nahe gebracht (siehe ebenfalls unter „Veranstaltungen in der Vergangenheit“).

In der Vortragsreihe „Zur Wirkung von Musik“ haben Otto Wanke am 23. März 2023 und Prof. em. Bernhard Wetz am 20. April 2023 die Abende mit außerordentlichem Engagement, großem Erfolg und dabei ohne Honorar oder Gage gestaltet (siehe jeweils unter „Veranstaltungen in der Vergangenheit“). So bestand ihr Lohn „nur“ in der begeisterten Aufnahme ihrer Beiträge durch das Publikum. Auf diese Weise konnten ohne zusätzlichen materiellen Aufwand die Kosten für Raummiete, Klavierstimmung und -aufbereitung, Druckerzeugnisse und Pressearbeit bestritten werden.

Ihnen allen sei herzlich gedankt!

Die Stiftung sucht Kundige und Könnende mit solchen und ähnlichen Arten des Engagements, denn sie lebt von ihnen. Dafür bedanken wir uns und ermuntern alle, die über passende Ideen und Fähigkeiten verfügen, mitzutun im Prozess der Kultur und der politischen Bewusstseinsbildung!

Professionelle und vergütete Dienstleistungen, die dennoch Erwähnung und Dank verdienen

In aller Regel erfolgt die Unterstützung für unsere Stiftung – neben Geldzuwendungen – rein ehrenamtlich. „Non profit“ ist also die Regel. Es gibt aber auch Mischformen, die über die entlohnte Arbeit hinaus einen Mehrwert enthalten, weil sie sich auf eine Weise engagieren, die nach normalem Ermessen von der Vergütung nicht mehr abgedeckt ist.

In mehrerlei Zusammenhängen hat sich der freiberufliche Moderator und Unternehmensberater Michael Krause (bekannt u.a. durch seine Moderationen im Open-Air-Kino Butzbach) dankenswerter Weise stets deutlich mehr eingebracht, als es ein „Dienst nach Vorschrift“ erwarten lassen würde. Beginnend mit der Präsentation unserer Dokumentarfilmreihe (veranstaltet zusammen mit Ralf Bartel und dem Butzbacher Kino) als Moderator der jeweils anschließenden Fachgespräche und dann zum Buchlektüre-Seminar „Unsere Welt neu denken“ war und ist er verantwortlich für die Ankündigungs-Pressetexte und ihre Verteilung, in erster Linie an die Butzbacher Zeitung, oftmals aber auch an Wetterauer Zeitung, Gießener Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Neue Presse und die Internet-Zeitung „Landbote“ für Rhein-Main und Mittelhessen.
Seit Februar 2023 ist Michael Krause mit derselben Pressearbeit an der Verbreitung der Veranstaltungshinweise für unsere Reihe „Zur Wirkung von Musik“ beteiligt. Auch dadurch erfreuten sich die einzelnen Vorträge einer großen Aufmerksamkeit und Wertschätzung.
Weil seine Dienstleistungen überdies von einem hohen Maß von Professionalität gekennzeichnet sind, können wir sie uneingeschränkt empfehlen.

Nick Mende, wohnhaft in Butzbach, und Kollegen von der Firma Lösched in Wöllstadt (www.loesched.de) ist zu danken für Ihre Arbeit im Zusammenhang mit der Erstellung der Stiftungs-Website. Zum Einen wurde beim Angebot eine Honorar-Reduktion für den Status der Gemeinnützigkeit eingeräumt, die den Rechnungsbetrag geringer ausfallen ließ als marktüblich. Zum Anderen wurden Flexibilität, Kurzschrittigkeit und die Aufnahme der Wünsche in der Kooperation zwischen Auftraggeber und den Ausführenden als sachlich sehr kompetent und zielführend sowie auch menschlich immer angenehm wahrgenommen. An den Dank schließt sich also unsere Empfehlung an.



PREISFRAGE: Gibt es eine realistische Möglichkeit für die friedliche Beendigung des Krieges in der Ukraine?

Tatsächlich wird ein Preis ausgelobt für eine überzeugende Antwort – nicht eine Million Dollar zwar, aber immerhin ein Exemplar des Buches „Die Zukunft der Demokratie“ von dem Politikwissenschaftler Prof. Herfried Münkler, der am 8. Mai in Butzbach für einen Vortrag mit Gespräch zu Gast sein wird. 

Wie in den westlichen Ländern auf den Einfall und die Annektionen Russlands in der Ukraine möglichst klug und wirkungsvoll reagiert werden sollte, ist von Beginn an Gegenstand ständiger, teils hitziger Debatten. In meinen Augen gibt es – leider – eine klare Überlegenheit der Argumente aufseiten derjenigen, die meinen, den Aggressor nur mit Waffengewalt eindämmen zu können. Denn die Anderen, zumindest vordergründig Friedliebenderen, gehen offenbar viel mehr von Wunschvorstellungen aus als von den höchst unangenehmen tragischen Gegebenheiten.

Doch gern würde ich mich vom Gegenteil überzeugen lassen, deshalb diese öffentliche Nachfrage. Sie ist nicht rhetorisch motiviert, sondern allein durch das aufrichtige Bemühen, gute Gründe zu erfahren für die Beendigung der Waffenlieferungen an die Ukraine und/oder die Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Denn nichts wäre wünschenswerter als das sofortige Ende des Blutvergießens. 

„Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ waren ja die Leitsprüche während der heftigen Nachrüstungsdebatte in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit diesem Überzeugungshintergrund protestierten wir im Oktober 1981 im Bonner Hofgarten, zusammen mit 300.000 Kundgebungsteilnehmern und -teilnehmerinnen. Darunter auch Olaf Scholz , wie wir heute wissen. Die NATO-Nachrüstung, gegen die wir uns ausgesprochen hatten, wurde dann doch durchgeführt.

Erste große Risse in der Friedensbewegung zeigten sich während der 90er Jahre im Balkankrieg, welche die Partei der Grünen vor eine Zerreißprobe stellten, gipfelnd im Farbbeutelwurf gegen den Außenminister Joschka Fischer im Jahr 1999. Die Partei war etabliert und in der Regierung angekommen, was mit einem Wechsel zu einer realpolitischen Haltung einher ging. Heute ist sie diejenige, die sich mit am Entschiedensten für die Verteidigung der Ukraine auch durch die Gegengewalt der Waffen einsetzt, wohingegen sich die innerparteilichen Auseinandersetzungen in dieser Frage vornehmlich in der SPD abspielen. AfD und Linke hingegen sind sich jeweils intern weitgehend einig in der Ablehnung einer militärischen Unterstützung des angegriffenen Landes.

Zur Argumentationslage:
Die Gegner der weiteren Aufrüstung der Ukraine betonen erstens die Gefahr der Eskalation bis hin zum Einsatz von Atomwaffen. Selbst wenn das wahrscheinlich wäre, bliebe die Erkenntnis, dass jedes Land, welches über Atomwaffen verfügt, diese als Drohung einsetzen und unter diesem Schutzmantel gleichzeitig andere Länder konventionell angreifen kann, bis hin zu deren Unterjochung oder gänzlichen Auslöschung.
Zweitens wird ganz allgemein und eher unbestimmt von „friedlichen Lösungen“ gesprochen, die man dem Krieg und der Gewalt entgegensetzen solle. Dafür werden „sofortige Verhandlungen“ gefordert. Die Nachfrage, wie das umgesetzt werden solle angesichts der gegebenen Bedingungen, bleibt unbeantwortet und die Diskussion sehr vage. Diese Bedingungen bestehen aufseiten Russlands mindestens im Anspruch, sich die annektierten vier neuen Gebiete und wie bisher die Krim, beides völkerrechtswidrig und nirgendwo anerkannt, offiziell als neues Staatsgebiet absegnen zu lassen. Aufseiten der Ukraine steht dem die bislang vertretene Ansicht entgegen, dass das eigene anerkannte Staatsgebiet unangetastet bleiben soll.

Wie immer man die Sache auch dreht und wendet: Eine Verweigerung weiterer militärischer Unterstützung würde dazu führen, dass ein Land mindestens einen Teil seines Staatsgebietes abgeben muss, und das nach schlimmsten Opfern in der vorherigen Auseinandersetzung, nachdem ein Anderer gewaltsam darauf Zugriff genommen hat. Es könnte aber auch sein, dass die russische Armee bei militärischer Überlegenheit einfach weiter vordringt und das gesamte Land unterwirft. Kriege enden zwar immer mit Verhandlungen, doch eindeutig auf der Basis des zuvor militärisch Erreichten. Die Lage auf dem Gefechtsfeld ist immer DER entscheidende Ausgangsfaktor für Verhandlungen.

Wenn die unter dem Banner des Friedens Argumentierenden für das Ende der militärischen Unterstützung eintreten, wird es die hochwahrscheinliche, nahezu logische Folge sein, dass ein Land mindestens eines Teils seines Gebietes beraubt wird. Deshalb muss, wer A sagt, auch B sagen: Der Verzicht auf die weitere Ausstattung der Ukraine mit Waffen führt zu sowohl völkerrechtlich untersagten als auch moralisch verwerflichen und menschlich unsäglichen Konsequenzen (Zwangsherrschaft, Verschleppung, Entzug der Menschenrechte u.v.m.). Das ist kein Eintreten für den Krieg, sondern eine simple logische Folge unter Annahme realistischer Bedingungen. Alle, die sagen: „Stoppt die Versorgung der Ukraine mit Waffen“, müssen sich fragen lassen: Können wir wollen, was darauf folgen wird?

Die Anwendung brutalster Gewalt, auch gegen unzählige Unbeteiligte, vollkommen ungerechtfertigte Ansprüche und in diesem Zusammenhang das permanente unverfrorene Lügen in einem Maß wie sonst nur Donald Trump lässt den Wunsch nach Verhandlungen als zwecklos erscheinen – um so mehr, als diese Ansprüche aufseiten Russlands ja immer wieder ganz explizit zur Vorbedingung für Verhandlungen gemacht werden. Mehr noch: Neben der Dreingabe aller Rechte oder der Existenz einer souveränen Nation würden sie ein Beispiel dafür abgeben, wie leicht und allein mit militärischer Gewalt die Errungenschaften von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zunichte gemacht werden können.

Um es etwas anders, sozusagen metaphorisch auszudrücken:
Man stelle sich eine Population aus lauter Tauben vor, sprichwörtlich friedliebend und ohne Nahrungssorgen bis zum Ende aller Zeit. Sobald aber nur ein einziges Falkenpärchen in ihr Habitat eindringt, sind die Tauben, je nach ihrer Anzahl, früher oder später ausgerottet. Das ist zutiefst zu bedauern. Der Grund dafür liegt in der Eigenschaft der Tauben, sich nicht wehren zu können.

Im Tierreich ist diese Eigenschaft angeboren, als Menschen haben wir aber die Wahl. Es gibt Möglichkeiten, eindringende Falken abzuschrecken, und wenn das nicht hilft, zum Mittel der verteidigenden Gegengewalt zu greifen. Die Alternative wäre die Haltung eines Tieres, sich dem Angreifer zu unterwerfen und ihm seine Kehle darzubieten. Dann aber erledigt sich das Taube-Sein ganz.
Das in jeder Situation und unter allen Umständen Friedliebende führt zur Zerstörung des Friedens und der Friedensliebe.

Wir sind nicht nur ermächtigt, sondern geradezu verpflichtet, diejenigen Institutionen zu schützen und zu stärken, die unser friedliches und freies Leben sichern, darunter auch die Gewaltenteilung, die gerade in Teilen Osteuropas und jüngst sogar in Israel massiv gefährdet ist. In Russland ist sie nicht gefährdet, sondern vollkommen zerstört. Wer der Ukraine nicht hilft, sich auch militärisch zu verteidigen, fördert die weitere Ausdehnung der Unfreiheit, der Diktatur und des Leidens in der Welt.

So weit die Argumentation, wie sie sich derzeit darstellt. Es wäre aber außerordentlich wünschenswert, von ebenso guten oder noch besseren Gründen zu erfahren, wie man ohne Waffen Frieden schaffen könnte, unter Berücksichtigung aller realistischer Gegebenheiten oder Faktoren. Denn wer will nicht lieber Frieden und Gewaltlosigkeit?

Podcast zum Film „Eine deutsche Partei“

Unsere erste Aktivität, welche dem offiziellen Stiftungszweck der „allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens“ diente, war die Vorführung des Dokumentarfilms „Eine deutsche Partei“ zusammen mit dem Butzbacher Kino am 1. Juni 2022. Die Besonderheit lag in der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Regisseur des Films, Simon Brückner aus Berlin und der Gießener Politikwissenschaftlerin Dr. Alexandra Kurth (siehe unter „Veranstaltungen in der Vergangenheit“).
Nun hat Simon Brückner einen Podcast zum Film eröffnet. Im Sinne der politischen Bewusstseinsbildung empfehlen wir all denjenigen, die wachsam sein wollen im Hinblick auf die Gefährdung unseres freiheitlichen Systems, hineinzuhören:


Eine deutsche Partei – Der Podcast zum Dokumentarfilm

Folge 4: Der Kompass des Populismus, Gespräch mit Philipp Manow

https://www.podcast.de/podcast/2944499/eine-deutsche-partei-der-podcast-zum-dokumentarfilm

Folge 2: Die Radikalisierung der AfD

In der zweiten Folge von ‚Eine deutsche Partei – Der Podcast zum Dokumentarfilm‘ trifft Simon Brückner den Politikwissenschaftler Hajo Funke, Experte für die Themen Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland. Gemeinsam werfen sie einen Blick auf den vorzeitigen Abbruch des 13. Bundesparteitages der AfD in Riesa, die weiterhin zunehmende Radikalisierung der Partei unter dem Einfluss Björn Höckes und deren andauernden innere Konflikte. Außerdem sprechen sie über Islamfeindlichkeit und Islam-Neid, über apokalyptisches Denken und weshalb dem Erfolg der AfD Grenzen gesetzt sind.

Moderation und Produktion: Simon Brückner

Mitarbeit: Anna Iwanska und Jonathan Wulff

Musik: Marco Glienke

Cover Art: Marcel Weisheit

Webseite des Podcasts mit allen Links und Shownotes

Direkter Link zu spotify

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Beiträge zur Unterstützung des Doppel-Benefizkonzertes am 15.5. 2022 und der Ukrainehilfe

In erster Linie sind es natürlich die Mitwirkenden, denen der Dank gebührt, für die Bereitschaft, ihr Können ohne Honorar und ohne Aufwandsentschädigung in den Dienst der guten Sache zu stellen. Auch die Stiftung selbst hat keinerlei Kosten in Abzug gebracht, sodass der Ertrag (Spenden anstelle von Eintrittsgeldern) vollständig der Hilfe für geflüchtete ukrainische Kinder zufließen konnte (siehe unter „Veranstaltungen: Doppel-Benefizkonzert“)
In der Reihenfolge ihres Auftretens waren aktiv beteiligt:
Marion Adloff, Michael Ernst und Joachim Wagenhäuser aus dem Lehrkörper der Musikschule Butzbach
Der KonzertChor Butzbach, unter dem Dirigenten Andreas Ziegler und der Vorstandsvorsitzenden Martina Maskos, die den Chor auf eine sehr freundlich-kommunikative Weise nach außen vertritt
Die „altgediente“ Butzbacher Rock- und Popmusik-Formation Rock-O-Deal, welche den zweiten Teil des Konzerts gestaltete, mit Arno Cichowlas, Bille Kost, Holger Kost, Moritz Mengel und Mecki Odignal.

Ein besonderer Dank gilt Frau Rita Herth, der früheren langjährigen Leiterin des Kulturamts der Stadt Butzbach. Nicht nur ihre mitorganisatorische Tätigkeit war von großem Nutzen für das Zustandekommen und die Durchführung des Konzertes, sondern auch die Verbindungen, die sie über Jahrzehnte aufgebaut hatte und von denen wir nun profitierten.
Bürgermeister Merle übernahm die Begrüßung am Abend des Konzerts,, die Stadt Butzbach trug die Kosten für die Stimmung des Klaviers und stellte das Bürgerhaus als Veranstaltungsort einschließlich Bestuhlung unentgeltlich zur Verfügung, wobei sich Hausmeister Marius Hübner auch über den Feierabend hinaus engagierte. Ebenfalls am Abend des Konzerts halfen Frederik Wirarak, Roland Fritsch und Dirk Schimmel.
Von Beginn an, d.h. ab diesem Konzert, hat Annette Windus in der Butzbacher Zeitung über unsere Veranstaltungen kenntnisreich in Text und Bild berichtet, danach über die beiden bisher gezeigten Dokumentarfilme im Kino Butzbach.

All diesen Musikern und Musikerinnen, Helferinnen und Helfern sei ganz herzlich gedankt – in der Hoffnung, dass sie sich im Rahmen zukünftiger Projekte wieder „pro bono“ engagieren mögen …

Sehr dankbar sind wir auch für Sachspenden vonseiten der folgenden Firmen:
Weimar Beschriftungen GbR (Druck von Plakaten, Flyern und eines Banners)
Blumen Balser (dekorative Blumengestecke in den ukrainischen Nationalfarben)
Bäckerei Mack (Gebäck zur Verköstigung der Mitwirkenden)
Kelterei Müller (Getränke zur Verköstigung der Mitwirkenden)

für Geldzuwendungen per Überweisung vonseiten der folgenden Firmen und Privatpersonen:
GHG Gesellschaft für Haus und Grün
Heidler Hydraulikbau GmbH
Bauzentrum Gerhardt
Bauunternehmen G. Hildebrandt
Margret und Otto Wanke
Dr. Michaela Goll
Bärbel Müller-Scheer und Frank Müller
Dr. Harm Müller
Stefanie Mau
Dr. Sven Grieger und Gabriele Grieger
Axel Schaaf
Joachim Wagenhäuser

Katharina Trnka

und nicht zuletzt für die Beiträge der Besucher und Besucherinnen des Konzerts in den Spendenboxen!

Paradoxe Spielereien

Nach dem ernst-gewichtigen Einführungstext in der BlogChain (siehe dort) mit dem Titel „Der Abschied von der Selbstverständlichkeit“ hier einige ungeordnet-leichtere Gedanken, verbunden nur durch das Merkmal, auf je unterschiedliche Weise „paradox“ zu sein.
„Paradox ist es, wenn ein Förster keine Schonung kennt.
hieß es schon vor Jahrzehnten in der Comedy-Szene. Im Allgemeinen umgibt die Comedy ein schlechterer Ruf als das Kabarett, weil sie sich nicht selten auf eine oberflächliche, stillose oder herablassende Art lustig macht über wehrlose Schwächere (nur nebenbei eingeschoben die folgende Frage, weil Viele die Antwort bereits kennen:
„Was unterscheidet Comedians von den Kabarettisten?“ „Die Erstgennanten machen es wegen dem Geld, die Anderen wegen des Geldes“).
Andererseits wird dem Kabarett oftmals seine moralinsaure Note übelgenommen – manchmal sicher zu Recht.
Indes stammt der beste Einwort-Witz aller Zeiten von dem Comedian Markus Krebs:
„Brennholzverleih“.
Schon zwei Wörter benötigen
„Herrenloses Damenfahrrad“,
„Undercover-Extrovertiertheit“ und
„Sei spontan!“, die bekannte Paradoxie des Psychologen Paul Watzlawick (1921 – 2007).

Vielleicht veranstalten wir einmal einen ganzen Abend nur über Paradoxien (bei Interesse bitte melden). Dann könnten wir uns auch ansehen, welche komplizierteren und umfangreicheren Paradoxien es in der Logik und in der Wissenschaft gibt.

Wer mehr paradoxe Phrasen kennt, am besten höchstens einen Satz lang, bitte in Gestalt eines Kommentars einreichen!


Der Abschied von der Selbstverständlichkeit

EIN MEHRFACHSPRENGKOPF IN DER KOMFORTZONE

Wenn man einen solchen Blog eröffnet, eine Reihe von Äußerungen mit der Einladung zum Kommentieren, hat der erste Beitrag natürlich eine ganz besondere Bedeutung.
Anders als im NotizBlog mit der dort gewollten Leichtigkeit, Regellosigkeit und Spontaneität, geht es hier um ein ernsteres und tieferes Anliegen: Es soll ein bisschen mehr sein als in der üblichen flüchtigen Kommunikation, fundierter als am Stammtisch, unaufgeregter als im Journalismus, weniger von Interessen bestimmt als in der Politik und aufrichtiger als im Business, wo die meisten angeblichen „Argumente“ tatsächlich nur im Dienst des Marketings stehen. Sogar hinter vielen Freundlichkeiten blitzen dort nackte Verkaufsinteressen fadenscheinig und peinlich entlarvend hervor. Zu sagen und zu schreiben, was man wirklich meint, Authentizität und Transparenz also, soll die Richtschnur sein in diesem Blog. Auch für die erwidernden Texte von Euch / Ihnen.

Für den ersten Beitrag ging es mir darum, ein Thema zu wählen, welches zum Einen eine Menge mit dem Anliegen der Stiftung zu tun hat und zum Anderen einen starken aktuellen Bezug aufweist: Was brennt uns gerade unter den Nägeln, was kennzeichnet unsere gegenwärtige Lage, im je eigenen Leben, in Bezug auf die Gesellschaft und im Blick auf unsere Lebensgrundlagen ganz allgemein? Was tut sich derzeit, an mehreren Fronten (eine davon leider im wörtlichen Sinne zu verstehen), und wie bestimmt es unsere Situation? Was müsste uns hier und jetzt interessieren, und worum sollten wir uns ganz aktuell kümmern?
Und nicht zuletzt: Gibt es ein gemeinsames Band, ein Stichwort, ein Merkmal, eine Floskel, wodurch sich viele dieser Befunde und Strömungen gleichzeitig einfangen und prägnant fassen lassen?

Hier kommt das, was unter diesen Gesichtspunkten am plausibelsten und am meisten kennzeichnend erscheint:

DER ABSCHIED VON DER SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT

Über etliche Jahre hinweg, in mancherlei Hinsicht über viele Jahrzehnte, haben wir uns eingenistet in einer Behaglichkeit, die nicht danach fragte, wie das überhaupt möglich war. Was alles musste sich ereignen, was hätte umgekehrt nicht passieren dürfen, welche Ereignislinien mussten genau so zusammentreffen wie tatsächlich geschehen, wer musste sich wie sehr mühen über Jahrzehnte und Jahrhunderte? Welche Opfer pflastern diesen Weg – Betroffene, aber nicht an den Entscheidungen Beteiligte -, damit es uns so gut gehen konnte im Vergleich zu den meisten Erdenbürgern außerhalb von Westeuropa und auch hier während des allergrößten Teils früherer Epochen?

Solche Fragen haben sich die meisten Menschen nie gestellt. Vielmehr haben sie einfach vorausgesetzt und es als ihr Menschenrecht betrachtet, unter Bedingungen zu leben, unter denen sie sich gut und frei fühlen und zumindest einen gewissen Wohlstand genießen können. Manche auch weitaus mehr als das.

Ausdrücklich sei gesagt, dass es auch hier und heute Menschen gibt, für die eine solche Beschreibung ganz und gar nicht zutrifft, die nicht auf der Sonnenseite stehen, die Opfer waren und Opfer sind von Unrecht, Ungleichheit, Benachteiligung gewollt oder ungewollt, von Zwang zur auslaugenden Arbeit oder der Entleerung ihres Lebenssinns. Bevor sie an dieser Stelle – mit vollem Recht – widersprechen oder nur noch höhnisch lachen können, sei betont, dass bei den vorliegenden Überlegungen von der breiten Mehrheit die Rede ist. Es gibt und gab nur wenige Länder, in welchen für eine so große Mehrheit sowohl Freiheit als auch Wohlstand vorausgesetzt werden konnten, einfach so, wie hier in dieser insgesamt unfassbar reichen, mit größten Freiheiten ausgestatteten Republik.

Und nun sehen wir, in mehrerlei Hinsicht und innerhalb kurzer Zeit, dass das vermeintlich Selbstverständliche daran keinesfalls vorausgesetzt werden kann. Es war eine Illusion, erzeugt nur durch die lange Gewöhnung daran. In mancherlei Hinsicht sind es die Alten, welche den Krieg und die unmittelbare Nachkriegszeit noch erlebt haben, für die der Komfort der letzten Jahrzehnte deshalb nicht naturgegeben ist. Bei anderen Themen erkennen seit wenigen Jahren zunehmend nur die ganz Jungen, oder viel mehr: einige davon, dass und wo etwas nicht stimmt mit dem, was die große Mehrheit für natur- oder gottgegeben hält.

Doch massiv ereilt uns alle in diesem Jahr eine Ent-Täuschung nach der anderen: 

  • Bequem war es nicht nur, 77 Jahre lang im Frieden zu leben, sondern auch, davon auszugehen, dass das immer so bleiben müsse. Die auf der Startseite angedeutete „Zeitenwende“ stand zunächst in einem geopolitischen Zusammenhang, nämlich der Reaktion auf den nie für möglich gehaltenen Einmarsch der Militärmaschinerie eines Landes in das Gebiet seines europäischen Nachbarn. Doch schlagartig wird uns nun klar: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Errungenschaft. Das heißt buchstäblich: Er musste und muss immer wieder errungen werden. Bald vierzig Jahre ist es her, dass zum letzten Mal Kriegsängste herrschten im kollektiven Bewusstsein, Stichwort „atomar bestückte Mittelstreckenraketen“. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien während der 90er Jahre war trotz des dortigen Mordens schon weniger bedrückend für uns Westeuropäer, und spätestens danach regierte die diesbezügliche Arglosigkeit.
  • Auch ökonomisch gesehen hatten wir es uns gemütlich gemacht in einer äußerst komfortablen Situation: Ein reger und höchst profitabler Wirtschaftsaustausch fast mit der gesamten Welt einschließlich politisch und moralisch fragwürdigster Länder, dem Bezug spottbilliger Energie vor allem aus solchen Ländern und dem massiven Export in ebensolche  – die militärische, und wie wir jetzt sehen: notwendige Verteidigung dieser Möglichkeiten aber und die Kosten dafür überließen wir zu einem großen Teil unseren Verbündeten. Die Wirtschaftstätigkeit erbrachte viel, kostete aber wenig – die beste aller möglichen Welten. Manche nennen es auch „Trittbrettfahren“. Und dabei sind die früheren Sünden des Kolonialismus noch gar nicht angesprochen. Was an Menschenrechtsverletzungen geschah und geschieht aufseiten mehrerer unserer wertvollsten Handelspartner, spielte allenfalls in Lippenbekenntnissen und Sonntagsreden eine Rolle. Seit dem 24. Februar dieses Jahres ist es vorbei auch mit dieser Sorglosigkeit.

  • Damit verbunden war die Fraglosigkeit der Versorgung mit Lebensmitteln, Kraftstoffen, Strom und Heizenergie sowie Rohstoffen für die Industrie. Knappheiten bestanden allenfalls auf der persönlichen Ebene, nie aber waren sie wirklich systemisch. Nur kurzzeitige Schwierigkeiten mit Lieferketten dann und wann, eine zeitlich sehr begrenzte Ölkrise vor Jahrzehnten, ab und an ein Börsencrash mit jeweils baldiger Erholung, ansonsten die üblichen Preisschwankungen und Tarif-Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern, doch langfristig eine hochgradige Stabilität – so stellte sich unter dem Strich die WIrtschafts- und Versorgungslage dar. Doch nun ganz plötzlich seit fast einem Jahrhundert nie mehr dagewesene Kostensteigerungen für Energie, chaotisch verlaufende Preisbildungsprozesse und die Gefahr der Rationierung wie sonst nur in der Kriegswirtschaft: All das hatte niemand mehr auf dem Schirm. Wer kennt noch heute Lebende, die im Winter frieren mussten?
         
  • Nur zum Teil mit dem Krieg zusammenhängend beobachten wir neuerdings eine allgemeine Inflationsrate, die das seit mehr als zwanzig Jahren Gewohnte in sein Gegenteil verkehrt. Es gab ja kaum eine Geldentwertung, jedenfalls eine weit unterhalb der von den Notenbanken aus guten Gründen angepeilten 2% pro Jahr. Was das Schuldenmachen enorm erleichterte und das Wachstum stetig befeuerte. Auch diesbezüglich hatten wir uns in der prosperierenden Stabilität eingenistet wie nie zuvor so lange am Stück. Nun dämmert uns langsam, dass auch das nur eine vorübergehende Phase gewesen ist. Und mehr noch: Dass nämlich das Geldsystem insgesamt auf tönernen Füßen steht. Dies ist m.E. eine der am meisten unterschätzte, nahezu totgeschwiegene Gefahr überhaupt. Der mächtige Warnschuss der Finanzkrise aus dem Jahr 2008 war nach wenigen Jahren restlos verhallt. Außer unter einigen der Experten, die tiefer sehen als nur auf kurzfristige und unvollständige Kosten-Nutzen-Kalkulationen, Börsenkurse und Bilanzen. Nicht nur beim Thema „Ökologie“ ist ein unglaubliches Maß an Ignoranz in der Welt.

  • Noch viel länger herrscht und ebenfalls in den wirtschaftspolitischen Zusammenhang gehört die „Alternativlosigkeit“ des Wachstums als Grundvoraussetzung für alle Formen der Wohlstandsmehrung und -erhaltung. Sogar jetzt ganz aktuell sind wir wieder Zeugen eines extremen und komplett rückwärtsgewandten Programms, gerade vorgestellt von der neuen Premierministerin Liz Truss für Großbritannien und Nordirland: Massive Steuersenkungen als Kopie der langfristig gescheiterten Politik von Margret Thatcher in den achtziger Jahren, fast nur zugunsten der ohnehin Wohlhabensten – im Unterschied zu damals aber zusätzlich mit einem nie dagewesenen Maß der Neuverschuldung. Und alles ausschließlich zur Rettung des allein selig machenden Wachtsums.
    Die entscheidende Frage lautet: Kann es eine Art der Steigerung von Produktion und Konsum geben, welche die Lebensgrundlagen nicht weiter zerstört? Ist also grünes Wachstum möglich, oder muss auf Wachstum komplett verzichtet werden? Die Ökonominnen und Experten sind sich nicht einig darüber …
      
  • Nur zwei Jahre vor dem militärisch Undenkbaren fand sich die ganze Welt aufgerüttelt durch die Corona-Pandemie. Fachleute warnten bereits seit Jahrzehnten vor Ereignissen dieser Art. Dass mörderische Wellen von Virusinfektionen kommen würden, war ihnen bekannt. Die Frage war nicht, ob, sondern nur, wann. Unser Bedürfnis, nicht behelligt zu werden, vielleicht auch der Siegeszug eines naiven, unbedingten „positiven Denkens“ seit den neunziger Jahren haben unsere Augen verschlossen.  

  • Noch mehr gilt das für die über Jahrhunderte hinweg gedankenlos gehandhabte Praxis, dem Planeten grenzenlos Ressourcen entnehmen zu können, ohne uns über die längerfristigen Folgen dieses Tuns Gedanken zu machen, ganz besonders in den letzten dreißig bis vierzig Jahren. Auch diese Zusammenhänge sind seit mindestens fünfzig Jahren bekannt, auch und gerade den Öl-Multis, die sie unter Verschluss gehalten haben. Einzelne Wissenschaftler sahen bereits im 19. Jahrhundert (!) die Entwicklung im Groben voraus.
    Kann das System das aushalten, ohne zu kollabieren? Nicht nur die Klimaveränderung, sondern auch Artensterben, zunehmende weltweite Wasserknappheit, die Vermüllung der Ozeane und immer mehr auch des Weltraums ändern unsere Lebensbedingungen radikal. Das vertraute, früher kaum jemals hinterfragte Wirtschaftsmodell als Ganzes stößt an eine Grenze. Wenn wir Glück haben – oder besonderes Pech, je nach Blickwinkel -, werden sich im Vergleich sowohl die Pandemie als auch der brutale russische Angriffskrieg als ein lockeres Warmlaufen für noch wesentlich schwerer wiegende und dabei weit mehr weltumspannende Probleme erweisen.
     
  • „Unsere Kinder und Enkelkinder sollen es einmal besser haben als wir“ – eine Überzeugung, die sich in den allermeisten Fällen seit dem zweiten Weltkrieg erfüllte, oftmals auch vorher. Mit der Realisierung solcher Wünsche ist es wohl vorbei. „Sollen“ in den Augen Vieler schon, das „Werden“ hingegen ist mehr als fraglich. Selten konnte man sich in der Vergangenheit sicherer sein, dass sie es nicht besser, sondern schlechter haben würden.
      
  • Ein Anwendungsfall für diesen Wunsch und sein Zerbröseln ist das Rentensystem: Mit dem sog. „Umlagesystem“ beziehen jeweils die Älteren, die nicht mehr arbeiten, direkt und zeitnah Zahlungen von denjenigen, die im Arbeitsprozess stehen und dafür Abgaben leisten. Doch können sich diese noch darauf verlassen, dass es ihnen selbst während ihres Lebensabends noch genauso ergehen wird? Eine an sich sehr vernünftige Praxis sieht sich großen Gefährdungen gegenüber, allein schon, weil es ungleich mehr Ältere und ungleich weniger Jüngere gibt als in allen Epochen zuvor. Das kapitalbildende System scheint nur auf den ersten Blick zielführender zu sein, denn es ist alles andere als klar, dass die auf dem privaten Kapitalmarkt angelegten Gelder tatsächlich die Erträge liefern wie in der Vergangenheit, ja dass die eingezahlten Beiträge überhaupt noch in voller Höhe zurückfließen werden, wenn man – die einzig richtige und relevante Betrachtung – die Inflationsrate abzieht, siehe oben. Mit dem Wegfall der anderen genannten Selbstverständlichkeiten gehören auch Sicherheit und Verlässlichkeit der Versorgung der Menschen im Ruhestand endgültig der Vergangenheit an.

Abgesehen von der Fragilität des Finanzsystems, welche noch immer nicht in der notwendigen Breite gesehen wird, sind alle anderen Austilgungen der Selbstverständlichkeit nun innerhalb von wenigen Monaten und ganz wenigen Jahren massiv in unser Bewusstsein getreten.

Viele Jahrzehnte lang haben wir es uns gemütlich gemacht in der Vorstellung, dass wir uns gegen niemanden militärisch verteidigen brauchen, dass wir nur Wachstum fördern und uns keine Gedanken über die Endlichkeit der Ressourcen dafür machen müssen (naiv, verdrängend oder bewusst verschweigend haben wir ihre Unendlichkeit einfach vorausgesetzt), dass Epidemien lange vergangene Ereignisse sind, dass Erde und Ozean auch dann unberührt bleiben, wenn weiter Tausende von Arten aussterben, und zwar mit beschleunigter Tendenz, dass wir ewig den Menschen in anderen Ländern mehr verkaufen können, als wir von ihnen erwerben (lange Zeit stahlen wir es kurzerhand), dass wir gleichzeitig durch sie mit billiger Energie versorgt werden, dass wir dafür in moralischer Hinsicht beide Augen fest zudrücken und im Welthandel permanent eine massive Doppelmoral anwenden, dass wir fraglos von dem Funktionieren des Renten-Umlagesystems wie auch der langfristigen privaten Kapitalbildung ausgehen und dass wir ohne jeden Zweifel naiv die Stabilität eines Geldsystems voraussetzen, obwohl es weitgehend unbemerkt hoch gefährdet ist.

Und nun fällt uns das alles auf einmal vor die Füße. Das Meiste davon wird nicht bloß fragwürdig – nein, es hat sich innerhalb kurzer Zeit auch faktisch schon erledigt. Nie mehr wird Energie so billig sein wie bis zu diesem Jahr, nie mehr werden wir uns restlos entspannen können angesichts der Gefahr neuer Viren und ihrer Varianten, nie mehr werden wir voraussetzen können, dass uns andere Länder des Westens auf ihre Kosten verteidigen, während wir gleichzeitig mit ihnen und weltweit glänzende Geschäfte machen, und nie mehr werden wir gedankenlos die Welt vermüllen, den Boden ausbeuten und die Atmosphäre mit CO2 und Methan vollpumpen können, ohne dass innerhalb weniger Jahrzehnte riesige Teile der Erde unbewohnbar werden und andere nur unter gigantischen Kosten erhalten bleiben.

Eine ernüchternde Diagnose – aber keine überraschende für Menschen, die schon länger darüber nachdenken, und für 99 Prozent der Wissenschaft. Doch sowohl sie als auch der gesunde Menschenverstand müssen noch immer zurücktreten gegenüber Lobbyismus, Profitgier und der Macht der Gedankenlosigkeit. „Die Macht der Gedanken“ heißt es in einem anderen Zusammenhang, doch in diesen großen, bedeutenden WIrkungsfeldern regiert in Wahrheit die Macht der Gedankenlosigkeit. Zwei der Ursachen dafür sind Wachstum mit allen Mitteln und damit zusammenhängend die Grenzenlosigkeit des Konsums. Völlig gleich, wie man zu Papst Franziskus, den christlichen Kirchen oder der Religion überhaupt steht – mit dieser Formulierung hat er den Nagel auf den Kopf getroffen: „Die zersetzende Banalität des Konsums“. Man muss nicht gläubig sein, um hinter dieses Verdikt ein Ausrufezeichen zu setzen!

Eine ernüchternde Diagnose – aber keine, die so stehen bleiben muss.

Deshalb lade ich alle Leserinnen und Leser dieses Beitrags ein, Stellung zu nehmen, die Eindrücke und Beschreibungen zu bezweifeln, sie zu stützen oder zu widerlegen, mehr Anstöße zu geben, selbst weiter zu denken, vielleicht sogar Elemente einer Lösung zu skizzieren.
Gern auch in sehr kurzen Statements, die sich insofern stark unterscheiden von dieser umfangreichen Thesen-Vorlage. Sorry for that, aber manchmal ist es schwer, sich zu beschränken. Vor allem dann, wenn es um so viel geht.

Intellektuelle Redlichkeit

Aus dem Gedächtnis, vor mehreren Monaten geschehen:

Harald Lesch sitzt in irgend einer Talkshow, womöglich war es bei „Lanz“, und spricht über das, was in der „Mainstream-Wissenschaft“ zu Recht als gut gesichert gilt, über die Rest-Unsicherheit, die immer bleibt, und die stetige Präzisierung des Wissens auch und gerade mithilfe von Irrtümern. Dabei spricht er einen Satz aus, der allseits mit bestätigendem Nicken und Staunen, fast mit Entzücken aufgenommen wird: „Ach, wie schön ausgedrückt“ und „Wie wahr!“ – sinngemäß jedenfalls. Sein Satz lautete: „Wir irren uns empor“. Schauen Sie nach auf der Seite „Das Verstehen fördern“ unter „Ziele und Zwecke“, dort findet sich derselbe Satz, eingebunden in eine Erläuterung des Prinzips.

Rückblende, auf eine Situation vor mindestens dreißig Jahren: In einem Vorlesungssaal der Gießener Universität spricht der Dozent, Prof. Gerhard Vollmer, über Erkenntnistheorie. Von ihm fällt der Satz: „Wir irren uns empor“. „Ach, wie schön ausgedrückt!“ denke ich, und: „Wie wahr!“, und schließlich: „Das muss ich mir merken“. Letzteres nicht nur sinngemäß, sondern wörtlich.

Zurück bei „Lanz“ in der Gegenwart: Was folgt auf die Äußerungen von Lob und Gefallen vonseiten des Moderators und der anwesenden Talk-Gäste? Wird Lesch die Lorbeeren nur für sich einheimsen? Vielleicht weiß ja niemand mehr, was vor dreißig Jahren gesagt und geschrieben worden ist. Oder wird er seine Quelle nennen? Unangenehme Sekunden vergehen, dann kommt die entscheidende, erlösende Aussage: „Das stammt nicht von mir, sondern von Gerhard Vollmer“.
Es ist schön, zu sehen, dass nicht nur Plagiat und Berechnung die Szene bestimmen, sondern gelegentlich auch die Redlichkeit. Ganz besonders, wenn ihr Informiertheit und Sachkompetenz zur Seite stehen. Solchen Menschen kann man vertrauen und sich getrost von ihnen belehren lassen.

Helferinnen und Helfer der ersten Stunde

Bereits in der Phase erster Überlegungen zur Gründung der Stiftung im Frühjahr 2021 gab es wertvolle Ideen und Impulse aus dem persönlichen Umfeld.
Insbesondere Dr. Michaela Goll, Susanne Wächtershäuser-Vespermann, Dirk Schimmel, Dr. Helge Vespermann und Agnes Giannone beteiligten sich am brainstorming zur Sinnhaftigkeit eines solchen Unternehmens und möglicher Aktivitäten. Außerordentlich hilfreich waren auch ihre Hinweise zur Namensgebung der Stiftung, auch und besonders im Ausschluss von Begriffen mit unpassenden Konnotationen (für ein Beispiel siehe unter „BlogHaus/NotizBlog“: „Eine auf eine bestimmte Art gekrümmte Kurve“).
Wenig später bekundeten auch Margret Wanke, Otto Wanke und Roland Fritsch ihre Bereitschaft zu einer informellen Art der Mitarbeit und halfen mit Ideen, Tipps und Handreichungen. Einige der interessierten Beobachter stellten eine Form des Engagements zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht, darunter Frank Müller.
Es dauerte ein wenig, bis Bürgermeister Michael Merle auf Anfragen reagierte, doch dann nahm er sich viel Zeit, sicherte grundsätzlich seine größtmögliche Unterstützung zu und gab wertvolle Informationen bezüglich potentiell fruchtbarer Kontakte. Letzteres gilt auch und besonders für Dirk Schimmel.

Nach dem notariellen Akt der Gründung am 1. Dezember fielen die Antworten auf Anfragen nach einer möglichen Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen und ihren Vertreterinnen und Vertretern erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aus. Besonders offen für gemeinsame Projekte zeigten sich Ralf Bartel vom Kino Butzbach und einige Monate später Stefanie Krause und Dr. Agnes Model vom „Guten Haus“ sowie im kommunalpolitischen Bereich die Vorsitzende der Butzbacher SPD, Anne Thomas. Daneben kam es mit den Grünen zu einem Gespräch. Allen Beteiligten ist bewusst, dass die Stiftung parteipolitisch absolut neutral aufgestellt ist und der rege Austausch mit allen zweifelsfrei verfassungskonformen Parteien gleichermaßen gewünscht und angeboten wird. Der Unterschied liegt bislang ausschließlich in der Resonanz der einzelnen Parteien in der Kommune.

Im Zusammenhang mit den Bildungsstätten waren es besonders Jörg Welker, stellvertretender Schulleiter der Schrenzerschule, und Annette Pfannmüller, damalige Schulleiterin des Weidiggymnasiums, die sich sehr offen zeigten für Austausch und Kooperation. Da Frau Pfannmüller in diesem Sommer die Weidigschule verlassen hat, sollen hier neue Drähte etabliert werden.

Im Bereich der Unternehmen gab es bisher nur wenige Kontaktnahmen. Schon vor der ersten Veranstaltung erfolgte eine beträchtliche Zuwendung durch die Firma GHG (Gesellschaft für Haus und Grün mbH), Geschäftsführer Peter Netz, der eine regelmäßige materielle Förderung in Aussicht stellte.
Bezüglich der Unterstützung durch weitere Firmen befinden wir uns in Gesprächen. Natürlich sind wir darüber hinaus interessiert an Förderern aus dem betrieblichen, dem institutionellen und dem privaten Bereich, die von sich aus zur Erfüllung der Stiftungszwecke beitragen möchten.

Die frühesten Geldzuwendungen, noch vor der ersten Veranstaltung, erfolgten durch
Bodo Zerlik
Roland Fritsch
Frank und Corinna Rothermel
GHG Gesellschaft für Haus und Grün

All den Genannten gilt mein herzlicher Dank für ihre unterschiedlich geartete Unterstützung! Ohne sie würde ein solches Unternehmen womöglich gar nicht zustandekommen oder nicht funktionieren, zumindest aber nur weitaus unproduktiver und weniger mit Leben erfüllt.



Eine auf eine ganz bestimmte Art gekrümmte Kurve

Das folgende geometrische Gebilde hat einen Namen, den alle kennen:

________________________________________________________


Was würden wir denjenigen antworten, die meinen, dass es sich hier nicht um eine Linie, sondern um eine Kurve handelt?

Doch, doch, das kann man so sehen: Es ist eine Kurve – nur halt auf eine ganz bestimmte Art gebogen.
Unmittelbar kommt einem die Frage in den Sinn, was denn ein sog. „Querdenker“ denken mag, wenn er mal quer denkt.

Die Reifungszeit der ersten Ideen zur Gründung der Organisation, die dann schließlich „Stiftung Kultur und politisches Bewusstsein“ heißen sollte, fiel in eine Hochphase der Corona-Pandemie. Bei den Überlegungen zur Namensgebung der Stiftung wurden bestimmte Begriffe in Betracht gezogen, darunter das „Querdenken“, denn darin spiegelt sich auch der wünsch- und fruchtbare Perspektivwechsel (siehe Startseite). Doch die ersten zehn oder zwölf Einträge beim Eingeben des Begriffes in die Suchmaschine lieferten im Jahr 2021 ausschließlich den Bezug zu Corona-Leugnern.

Quer zu denken war einmal eine sehr nützliche Sache, doch nun ist das Wort ganz anders besetzt. Sehr gut kann man daran sehen, dass Wörter an sich keine feste Bedeutung haben. Diese liegt vielmehr in ihrem Gebrauch. Diese Erkenntnis verdanken wir u.a. Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951).

 ©Stiftung Kultur und politisches Bewusstsein gGmbH, 2022